Die Frankfurter Allgemeine über Superillu

Lesenswert: Mark Siemons in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über den von u.a. von mir gestalteten Politik-Teil der Zeitschrift Superillu:

„Auch diese Sprache wird nicht näher bestimmt, doch ein Merkmal der „Superillu“ ist, dass ihr Ton im Kontrast zu ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihren boulevardesken Anfängen von besonderer Sachlichkeit und auffallendem Wohlwollen geprägt ist. Sarkasmen und unterschwellige Nachreden sind hier nicht zu finden. Mit politischen Urteilen gehen die redaktionellen Beiträge sparsam um. Meistens übernehmen ostdeutsche Gastautoren und Interviewpartner diesen Part, etwa wenn Gregor Gysi eine Ost-Quote für Führungspositionen fordert oder wenn die Fernsehmoderatorin An­drea Kiewel den Mut und die Gelassenheit der Polizeibeamten bewundert, die sich von Corona-Leugnern beschimpfen lassen müssen. Gegen populistische Schlagzeilen ist die „Superillu“ nicht immun – auf dem aktuellen Titelblatt wird zum Beispiel der Volksbühnen-Star Henry Hübchen mit dem Satz „Genderwahn und Russenhetze – mir reicht’s!“ zitiert –, doch wenn es um die Demokratie selbst geht, nimmt sie deutlich gegen AfD, Querdenker und andere gern dem Osten zugeschriebene Tendenzen Stellung. Fast sieht es so aus, als wolle das Burda-Organ dialektisch mit der Ost-Identität umgehen, indem es sie einerseits bestärkt, ihr andererseits aber eine spezifische, möglicherweise gegen die Gesamtgesellschaft gerichtete politische Spitze nimmt.“

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ost-zeitschriften-und-der-blinde-fleck-des-westens-17815983.html?premium

Lassen Sie uns über Thälmann reden

Unter diesem Motto brachte ich – schon fast zehn Jahre her, zwei einstige DDR-Thälmann-Pioniere zusammen: den damaligen Linken-Politiker Stefan Liebich. Und den damaligen CDU-Politiker Phillip Lengsfeld. Beide sind heute nicht mehr im Bundestag, haben ihren Parteien aus unterschiedlichen Gründen den Rücken gekehrt. Die Argumente, die sie für oder wieder den Erhalt des großen Berliner Thälmann-Denkmals vorbringen, sind aber bis heute aktuell – weil eine neue Debatte um Abriss oder Renovierung entbrannt ist.
Hier das Streitgespräch, erschienen in SUPERillu Heft 35/2013, S. 18/19

https://www.dropbox.com/s/xhhgx2zn9kc729r/Th%C3%A4lmann%20SUPERillu.pdf?dl=0

Der Kult um Liebknecht

Die jährliche Märtyrer-Show der Links-Partei zum Gedenken an die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 ist, weil Aufmärsche der Werktätigen – die ja wochentags arbeiten müssen – seit dem Ende der SED-Diktatur seit 1989 schwerer zu organisieren sind, immer an einem Sonntag, also meist nicht am eigentlich Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, dem 15. Januar 1919. https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-gedenken-an-rosa-luxemburg-und-karl-liebknecht-li.204949?fbclid=IwAR39REh_Jz-YUmFdf9wSf-d4sC0Jmn41W2jE2gf0aiR-5EYLsMJro5MUnBc


Von „stillem Gedenken“, wie in der Überschrift dieses Artikels, kann dabei keine Rede sein. Im Gegenteil, es geht ja darum, möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Legitim bei politischen Events, machen die anderen auch nicht anders. 2022 war der Luxemburg/Liebknecht-Marsch bereits am Sonntag, dem 9.Januar, ist also schon wieder ein paar Tage her. Am Ort des Geschehens, der Berliner „Gedenkstätte der Sozialisten“ am Friedhof Berlin-Friedrichsfelde, wo neben zahlreichen Spitzenfunktionären der SED-Diktatur auch viele Personen der Zeitgeschichte ruhen, die sich wegen der Gnade frühen Todes, zuviel Moralin oder nur mittelmäßiger Performance im SED-Apparat nach ihrer Verfolgung durch die Nazi-Diktatur auch nur mittelmäßig bis gar nicht biographisch beschmutzen konnten oder auch wollten (wie z.B. Robert Siewert https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Siewert und einige andere), gibt es neben Liebknechts Ehrengrab auch einen – recht kleinen Gedenkstein für die Opfer der kommunistischen Diktatur, der zumindest von einigen der Beteiligten – das sei hier anerkennend erwähnt – dabei ebenfalls eines Besuches bedacht wird. Von denen speziell, die genau wissen, dass viele der Abermillionen Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft, die zwei Drittel der Fläche Europas mehr als 40 Jahre beherrschte (und ein Drittel mehr als 70 Jahre) und die uns Nachgeborenen nach deren Zusammenbruch ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Ruinenfeld hinterließen, selber kommunistischen Glaubens waren. Leider sind das da nicht viele. Einige schauen auch nur schnell Alibi-mäßig vorbei.

Für die Demokratie in Deutschland war es zunächst ein Glücksfall, dass anders als in Russland die Unterstützer der kommunistischen „Räterepublik“ – die schon damals, mehr als ein Jahr nach Lenins Oktoberputsch in Petrograd als Gewaltherrschaft für alle Informierten, zu denen sicher auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gehörten, erkennbar war – 1919 in Deutschland trotz ihrer Gewaltbereitschaft nicht durchkamen. Sie wären auch ohne diese zweifellos abscheulichen politischen Morde an diesen beiden Politikern mit ihrem Bestreben, in Deutschland eine „Räterepublik“ nach Lenins Vorbild einzurichten, nicht durchgekommen. So linksgestrickt Deutschland, das Land in dem der Kommunismus erfunden wurde, sein mag: für den Weg in eine radikale kommunistische Umerziehungsdiktatur gab es weder nach 1918 noch nach 1945 eine Mehrheit im deutschen Volk. Es wird sie auch in der Zukunft nicht geben. Sehr wohl sicherlich für einen am Gemeinwohl orientierten demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Sozialstaat. Zusammenfassend: Die SPD-Politiker Friedrich Ebert und Gustav Noske, die in ihrer Not zwar faule Kompromisse eingingen, aber mit den Morden an Liebknecht und Luxemburg zumindest in direkter Befehlskette nichts zu tun hatten, bekommen für ihr „robustes“ Vorgehen gegen deren Gesinnungsgenossen wie im Berliner Zeitungsviertel und anderswo sicher keinen Preis vom „Zentrum für politische Schönheit“ – hatten aber recht. Und viele andere Begründer dieser ersten deutschen Demokratie, von SPD-links bis Zentrums-konservativ, die diese historische Chance unterstützten, ebenfalls.

Der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger, der 1918 die bittere Pflicht übernahm, an Kaisers Statt den Waffenstillstand zu unterschreiben, der einer Kapitulation gleich kam, wurde 1921, nebenbei, in ähnlichen Umständen und von einer ähnlichen Rechtsaußen-Mischpoke wie Liebknecht und Luxemburg ermordet. Daran, dass die erste deutsche Demokratie 14 Jahre später scheiterte, tragen diese elenden geistigen Pickelhauben, die sowohl die Morde an Liebknecht als auch an Erzberger gut hießen, eine große Mitschuld, aber auch die von Liebknecht gegründete deutsche KPD- auch wenn er da schon lange tot war und für Thälmann nichts konnte. Erz-Stalinist Thälmann zumindest scheint der heutigen „Linken“ zumindest etwas peinlich, jedenfalls machen sie zum Jahrestag seines – unstreitig von ganz, ganz bösen Nazis verursachten – Todes im KZ Buchenwald 1944 keine so große Show. Legt „Die Linke“ für den wie Liebknecht ebenfalls von Rechtsradikalen ermordeten Matthias Erzberger auch jedes Jahr (in diesem Fall am 26. August) einen Kranz nieder? Umgekehrt: Treffen sich jedes Jahr die Spitzen von CDU und CSU, faktische Nachfolger von Erzbergers Zentrumspartei, jedes Jahr publikumswirksam an dessen Grab zur öffentlichen Beweihräucherung und fordern Revanche? Was Erzberger – nebenbei – anders als Liebknecht – sicher verdient hätte. Nicht die Revanche natürlich – nur das Gedenken. Oder wollen wir den (Horror-)Film von 1919-1933-1945 noch bis 2119-2133-2145 weiterspielen? Oder lieber gemeinsam, gut informiert und schlauer geworden, aber nicht biographisch belastet durch die Vergangenheit, nach pragmatischen Kompromissen für die Gegenwart und Zukunft suchen? „Die Linke“ ist da mit diesen 15. Januar-Shows doch recht vergangenheitslastig. „Modern links“ sieht anders aus. Oder ist links gar nicht modern?

„Aber schiessen müsst ihr“

Zum heutigen 80. Jahrestag des Massenmords an den Kiewer Juden in Babyn Yar am 29./30. September 1941.

Wehrmacht begrüßt Maßnahmen und erbittet radikales Vorgehen“ telegrafierte der damals 67jährige, eigentlich schon 1925 pensionierte Generalmajor Kurt Eberhard, der aus der Rente reaktiviert, im September 1941 Stadtkommandant der deutschen Besatzungsmacht im von der Wehrmacht besetzten Kiew wurde, nach Berlin. Und bedingte sich gegenüber dem Chef des SS-„Sonderkommandos“ 4a, Paul Blobel, der seiner Hilfe bedarf, um Ende September 1941 alle jüdischen Einwohner Kiews zu ermorden, für seine Mithilfe aber aus: „Aber schießen müsst ihr“. Genau heute vor 80 Jahren half er mit seinem Kommando über tausende Wehrmachtssoldaten, die die Kiewer Juden zusammentrieben, mit, über 33000 Menschen in einer Schlucht am damaligen Stadtrand, Babyn Jar, die „Altweiberschlucht“ – heute ein Park mitten in der Stadt – zu ermorden. Sein Mit-Tuen und Nichts-dagegen-Tuen steht beispielhaft für die Schuld von hunderttausenden Deutschen in Uniform am „Holocaust durch Kugeln“, dem mehr als eine Million Juden in der Ukraine binnen weniger Monate zum Opfer fielen.

Der Kiewer Stadtkommandant Kurt Eberhard (1874-1947)

1947 nahm sich Kurt Eberhard, 73jährig, in US-Militärhaft das Leben. Paul Blobel, verurteilt im Nürnberger „Einsatzgruppenprozess“ wurde 1951 hingerichtet. Die meisten Männer unter ihrem Kommando kamen unbehelligt davon. Es ging nicht darum, dass sie wie Eberhard oder Blobel – diese sicher berechtigt – mit ihrem Leben für ihre große Schuld bezahlten. Aber es war auch traurig, dass fast keiner von ihnen überhaupt je juristisch belangt wurde. Die aktuellen letzten Nazi-Verbrecher-Prozesse, gemäß einer neuen Auffassung der Rechtssprechung, gegen nun fast 100jährige Täter, darunter einen 99jährigen, der konkret für seine Mittäterschaft in Babyn Yar angeklagt ist, richten sich gegen Menschen, die damals sehr jung waren und weit unten in der Befehlskette standen, aber halt trotzdem mitgemacht haben, zeigen aber, wie es hätte auch gehen können. Dieses Justiz- und Politikversagen ist eine zweite deutsche Schuld, weit nach 1945.

Lesenswert an dem heutigen, traurigen Gedenktag. “ Massaker von Babyn Yar – die begrabene Erinnerung. https://www.faz.net/aktuell/politik/massaker-von-babyn-jar-die-begrabene-erinnerung-14457465.html

Der Tag, als die Ostdeutschen eingemauert wurden

Heute vor 60 Jahren, in der Nacht zum 13. August 1961, ließ die SED-Führung bei Nacht und Nebel die Sektorengrenze der DDR zu West-Berlin abriegeln und in der Folge mit Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen so befestigen, dass eine Flucht durch dieses zuvor letzte offene Schlupfloch in den Westen kaum noch möglich – und wenn dann unter großer Lebensgefahr.

Die Berliner Mauer, mit der die SED-Führung Ostdeutsche daran hinderte, die DDR gen Westen zu verlassen, war bis zu ihrem Fall 1989 28 Jahre lang das sichtbarste Zeichen, dass es sich um ein Gewaltregime handelte, das nicht etwa den „Klassenfeind“ im Westen, sondern vor allem die eigenen Bürger als Gegner betrachtete. „Unsichtbarere“ aber ebenso schlimme Zeichen dieses Machtmissbrauchs waren der Terror, den die Geheimpolizei der SED, die DDR-Staatssicherheit, gegen echt oder vermeintlich Andersdenkende verbreitete, ebenso wie die starke Ideologisierung des Alltags der DDR-Bürger in Schulen, am Arbeitsplatz und in den Medien.

Wie sehr die Macht der SED davon abhing, zeigte sich im November 1989. Als binnen weniger Tage die Mauer fiel, die Medien frei waren und mit der Verhaftung von Stasi-Chef Erich Mielke die Macht der Stasi brach, war es auch mit der Macht der SED zu Ende. In unserem aktuellen Heft (SUPERillu 33/2021, seit gestern im Handel) erinnern wir auf mehreren Seiten, hier einer der Beiträge, an diesen historischen Tag und seine Folgen.

EASTBlog – Deutschland- und Osteuropa-Blog des Journalisten Gerald Praschl