Der Kult um Liebknecht

Die jährliche Märtyrer-Show der Links-Partei zum Gedenken an die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 ist, weil Aufmärsche der Werktätigen – die ja wochentags arbeiten müssen – seit dem Ende der SED-Diktatur seit 1989 schwerer zu organisieren sind, immer an einem Sonntag, also meist nicht am eigentlich Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, dem 15. Januar 1919. https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-gedenken-an-rosa-luxemburg-und-karl-liebknecht-li.204949?fbclid=IwAR39REh_Jz-YUmFdf9wSf-d4sC0Jmn41W2jE2gf0aiR-5EYLsMJro5MUnBc


Von „stillem Gedenken“, wie in der Überschrift dieses Artikels, kann dabei keine Rede sein. Im Gegenteil, es geht ja darum, möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Legitim bei politischen Events, machen die anderen auch nicht anders. 2022 war der Luxemburg/Liebknecht-Marsch bereits am Sonntag, dem 9.Januar, ist also schon wieder ein paar Tage her. Am Ort des Geschehens, der Berliner „Gedenkstätte der Sozialisten“ am Friedhof Berlin-Friedrichsfelde, wo neben zahlreichen Spitzenfunktionären der SED-Diktatur auch viele Personen der Zeitgeschichte ruhen, die sich wegen der Gnade frühen Todes, zuviel Moralin oder nur mittelmäßiger Performance im SED-Apparat nach ihrer Verfolgung durch die Nazi-Diktatur auch nur mittelmäßig bis gar nicht biographisch beschmutzen konnten oder auch wollten (wie z.B. Robert Siewert https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Siewert und einige andere), gibt es neben Liebknechts Ehrengrab auch einen – recht kleinen Gedenkstein für die Opfer der kommunistischen Diktatur, der zumindest von einigen der Beteiligten – das sei hier anerkennend erwähnt – dabei ebenfalls eines Besuches bedacht wird. Von denen speziell, die genau wissen, dass viele der Abermillionen Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft, die zwei Drittel der Fläche Europas mehr als 40 Jahre beherrschte (und ein Drittel mehr als 70 Jahre) und die uns Nachgeborenen nach deren Zusammenbruch ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Ruinenfeld hinterließen, selber kommunistischen Glaubens waren. Leider sind das da nicht viele. Einige schauen auch nur schnell Alibi-mäßig vorbei.

Für die Demokratie in Deutschland war es zunächst ein Glücksfall, dass anders als in Russland die Unterstützer der kommunistischen „Räterepublik“ – die schon damals, mehr als ein Jahr nach Lenins Oktoberputsch in Petrograd als Gewaltherrschaft für alle Informierten, zu denen sicher auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gehörten, erkennbar war – 1919 in Deutschland trotz ihrer Gewaltbereitschaft nicht durchkamen. Sie wären auch ohne diese zweifellos abscheulichen politischen Morde an diesen beiden Politikern mit ihrem Bestreben, in Deutschland eine „Räterepublik“ nach Lenins Vorbild einzurichten, nicht durchgekommen. So linksgestrickt Deutschland, das Land in dem der Kommunismus erfunden wurde, sein mag: für den Weg in eine radikale kommunistische Umerziehungsdiktatur gab es weder nach 1918 noch nach 1945 eine Mehrheit im deutschen Volk. Es wird sie auch in der Zukunft nicht geben. Sehr wohl sicherlich für einen am Gemeinwohl orientierten demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Sozialstaat. Zusammenfassend: Die SPD-Politiker Friedrich Ebert und Gustav Noske, die in ihrer Not zwar faule Kompromisse eingingen, aber mit den Morden an Liebknecht und Luxemburg zumindest in direkter Befehlskette nichts zu tun hatten, bekommen für ihr „robustes“ Vorgehen gegen deren Gesinnungsgenossen wie im Berliner Zeitungsviertel und anderswo sicher keinen Preis vom „Zentrum für politische Schönheit“ – hatten aber recht. Und viele andere Begründer dieser ersten deutschen Demokratie, von SPD-links bis Zentrums-konservativ, die diese historische Chance unterstützten, ebenfalls.

Der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger, der 1918 die bittere Pflicht übernahm, an Kaisers Statt den Waffenstillstand zu unterschreiben, der einer Kapitulation gleich kam, wurde 1921, nebenbei, in ähnlichen Umständen und von einer ähnlichen Rechtsaußen-Mischpoke wie Liebknecht und Luxemburg ermordet. Daran, dass die erste deutsche Demokratie 14 Jahre später scheiterte, tragen diese elenden geistigen Pickelhauben, die sowohl die Morde an Liebknecht als auch an Erzberger gut hießen, eine große Mitschuld, aber auch die von Liebknecht gegründete deutsche KPD- auch wenn er da schon lange tot war und für Thälmann nichts konnte. Erz-Stalinist Thälmann zumindest scheint der heutigen „Linken“ zumindest etwas peinlich, jedenfalls machen sie zum Jahrestag seines – unstreitig von ganz, ganz bösen Nazis verursachten – Todes im KZ Buchenwald 1944 keine so große Show. Legt „Die Linke“ für den wie Liebknecht ebenfalls von Rechtsradikalen ermordeten Matthias Erzberger auch jedes Jahr (in diesem Fall am 26. August) einen Kranz nieder? Umgekehrt: Treffen sich jedes Jahr die Spitzen von CDU und CSU, faktische Nachfolger von Erzbergers Zentrumspartei, jedes Jahr publikumswirksam an dessen Grab zur öffentlichen Beweihräucherung und fordern Revanche? Was Erzberger – nebenbei – anders als Liebknecht – sicher verdient hätte. Nicht die Revanche natürlich – nur das Gedenken. Oder wollen wir den (Horror-)Film von 1919-1933-1945 noch bis 2119-2133-2145 weiterspielen? Oder lieber gemeinsam, gut informiert und schlauer geworden, aber nicht biographisch belastet durch die Vergangenheit, nach pragmatischen Kompromissen für die Gegenwart und Zukunft suchen? „Die Linke“ ist da mit diesen 15. Januar-Shows doch recht vergangenheitslastig. „Modern links“ sieht anders aus. Oder ist links gar nicht modern?

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