Abschied von Richard Herzinger (1955-2025)

Am 21. November 2025 auf dem Alten St. Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg Abschied von dem geschätzten Journalistenkollegen Richard Herzinger, der am 5. Oktober wenige Wochen vor seinem 70.Geburtstag in Berlin überraschend verstorben ist.
Seine langjährige Redaktion, die „Welt“, würdigte ihn für seine Klarheit und seine Weisheit – und die vielen unangenehmen Wahrheiten, mit denen er er oft und mit voller Absicht aneckte – bei der Leserschaft, manchmal auch bei der Chefredaktion oder seinen Kollegen.
Schon vor 25 Jahren war er einer der ersten, die die Welt vor Putin warnten – lange Zeit gefiel das fast keinem. Von einem „antirussischen Mainstream“ – so wie ihn heute so mancher AfD-Apostel behauptet –fehlte lange jede Spur, im Gegenteil. Warner wie Richard Herzinger wurden von einem ausgesprochen prorussischen Mainstream in Politikk und Medien gar lange als vermeintlich russophob oder paranoid gescholten.


Er hatte recht. Leider. Darunter litt er selbst am meisten. In einem seiner letzten Artikel, veröffentlicht auf Perlentaucher, zeichnet er ein düsteres Bild. Ohne eine geistige Erneuerungsbewegung, die mit kämpferischer Energie und Überzeugungskraft für den Erhalt demokratischer Ideale vorangehen, drohe der gesamten Menschheit der Absturz „in ein düsteres Zeitalter autoritärer und totalitärer Willkür.“ https://www.perlentaucher.de/intervention/richard-herzinger-ueber-die-gefaehrdete-idee-der-demokratie.html

Sehenswertes Video: Eine Würdigung für Richard Herzinger von dem Schriftsteller Marko Martin, der über 30 Jahre lang einer seiner Wegbegleiter war.

Hier die Rede von Marko Martin bei derTrauerfeier für Richard Herzinger im Wortlaut:

                                        Marko Martin

  Grabrede für Richard Herzinger (Berlin, 21.11. 2025)

Als ich Richard Herzinger bei einem Schriftstellertreffen im tschechischen Karlsbad im Herbst 1991 kennenlernte, war ich gerade mal 21 Jahre alt. Seither verdanke ich ihm intellektuell unendlich viel – ja, ein großer Teil meiner Arbeit wäre geradezu undenkbar ohne ihn. Die Dankbarkeit ist also enorm – und ebenso wie die Verpflichtung, weiterzumachen. Aber was bedeutet das? Richards Feinde, und davon hatte er wahrlich nicht wenige, auch und gerade in der Fraktion der vermeintlich „Ausgewogenen“, der selbsterklärten „Realisten“, wurden nicht müde ihm zu bescheinigen, er schreibe im Grunde genommen stets den gleichen Text. Aber da Richard bis an sein Lebensende ebenfalls nicht müde wurde, hinterlässt er uns auch eine Ermutigung: Der angeblich „immer gleiche Text“ betrifft ja nicht weniger als die Grundlage unserer Existenz – freies Atmen, freies Sprechen und die Verantwortung für ein möglichst klares Denken und wehrbereites Tun, um damit so viel wie möglich andere Menschen zu erreichen und zum Denken und Handeln anzustiften.

Und Nein, Richard hatte nie einen rein abstrakten Freiheitsbegriff, sondern im Gegenteil ein ganz feines, präzises Sensorium für Freiheitsgefährdungen. Schon Anfang der neunziger Jahre, danach auch in seinem zusammen mit Hannes Stein geschriebenen Buch „Endzeit-Propheten. Die Offensive der Antiwestler“, warnte er vor einer Phalanx aus Alt- und Neorechten, Sowjet-Nostalgikern und Russland-Schwärmern, enttäuschten Marxisten und Islamisten. Und es kam noch etwas hinzu: Seine Analyse jener vermeintlichen „Realisten“, die mit Ihrem Diktaturen-Gekungel die Welt doch nicht etwa stabiler, sondern im Gegenteil unsicherer machen.

Nicht zuletzt die Freiheits-Travestie eines Trump, Elon Musk und deren sich als „libertär“ bezeichnenden Fans in deutschen Medien wurde in Richards Texten nach  allen Regeln der Kunst zerlegt. Er begegnete diesen Typen auf jene Weise, wie man ihnen in den Worten des israelischen Soziologen Carlo Strenger begegnen sollte: mit „zivilisierter Verachtung“. Das gleiche galt für Antisemiten jeglicher Couleur und deren Fetisch der „Israelkritik“. Galt jedoch auch Premier Netanyahus Versuch, den liberalen Rechtsstaat in Israel zu schleifen – und auch denjenigen aus Richards Leserschaft, die just angesichts dieses  Autoritarismus gern ein „Ja, aber“ murmelten. 

Die Beispiele ließen sich fortführen, Stichwort etwa die Ernst Jünger- oder Peter-Handke-Schwärmerei in Teilen der deutschen Kulturöffentlichkeit, das Schweigen maßgeblicher Intellektueller zum genozidalen Massaker in Srebrenica 1995 und 2023  am 7. Oktober. Und und und. Richard war einer  der unbestechlichsten und – aktuell-politisch ebenso wie geistesgeschichtlich geradezu ein wandelndes Lexikon – einer der am präzisesten  argumentierenden Intellektuellen, die ich kennenlernen durfte.

Nicht zufällig fand unser letztes Treffen im Frühherbst bei einem Empfang in der Vertretung des demokratischen Taiwan statt, zusammen mit dem so gewitzten, outspoken freiheits-enthusiastischen Botschafter Professor Shieh, mit Roderich Kiesewetter und anderen. Und natürlich ging es auch darum, dass jeder Tag, an dem die Ukraine, die Richard publizistisch und als Aktivist so unermüdlich unterstützte, militärisch standhält, auch ein guter Tag ist für das vom totalitären China bedrohte freie Taiwan. Existentielle Verknüpfungen, für die Richard seit je her einen genauen Blick hatte.

Dass er – wie seit 2017 seine, unsere liebe Freundin Sylke Tempel – uns fehlt, ganz entsetzlich fehlt, versteht sich von selbst. Würden wir jedoch in dieser Erschütterung verharren – ein Rüffel von Richard wäre uns gewiss. Wolfgang Templin, der krankheitsbedingt heute nicht da sein kann, schrieb mir gestern Abend: „Meinen Abschied von Richard werde ich individuell vor Ort nachholen. Er war ein tapferer Kämpfer, und so wird er mir nah bleiben. Die jüngsten unsäglichen russisch-amerikanischen `Verhandlungssignale` sollten uns darin bestärken so klar zu sein wie er es immer war.´

In diesem Sinne, wenn auch ohne pathetisches Fäustegeschüttel: Zwar gibt’s kein letztes Gefecht, jedoch – Lotta continua. Versprochen, Richard. 

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