Wolf Biermann nahm sich einen ganzen Vormittag Zeit, empfing SUPERillu-Fotograf Nikola Kuzmanic und mich in seinem Privathaus in Hamburg-Ottensen, nahe der Elbchaussee. Sein Wohnzimmer-Büro dort gleicht einem Biermann-Museum, mit Erinnerungsstücken aus acht Jahrzehnten, von Fotos von Brecht bis zu seinen Mitbringseln einer Reise in die Ukraine kurz nach der Majdan-Revolution, darunter einem Stahlhelm. Das war an diesem Vormittag natürlich auch ein Thema – doch in erster Linie sprachen wir über seine Bilanz 30 Jahre nach dem Mauerfall.
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Auszüge: „Wer sich nicht über die friedliche Revolution und das geeinte Deutschland freuen kann, mit dem möchte ich nicht einmal übers Wetter reden. Das betone ich, weil die schlechte Laune, auch einiger ehemaliger Untertanen im Osten, die sich selbst befreit haben, mich tief befremdet. Von Preußens Kaiser Friedrich III. ist der Spruch überliefert: „Lerne leiden ohne zu klagen“. Heute scheint die Befindlichkeit so mancher Deutscher zu sein: „Lerne klagen, ohne zu leiden“. Das finde ich absurd. Gemessen am Leid auf dieser Welt und gemessen an unserer eigenen deutschen Geschichte ging es uns Deutschen in Ost und West noch niemals so gut wie heute. Wir sollten viel stärker auf die Erfolge schauen. Was Helmut Kohl damals versprach, blühende Landschaften, war eine Untertreibung. Wir schafften vereint viel mehr als nur blühende Landschaften. Und so wie im Osten blüht es übrigens an vielen Orten im Westen nicht, etwa im Ruhrgebiet oder in Schleswig-Holstein.“
(Die Ostdeutschen) „könnten darüber glücklich sein, dass sie sich heute – berechtigt oder nicht – als Bürger zweiter Klasse fühlen können und dass sie nicht mehr, wie zu DDR-Zeiten, Bürger zehnter Klasse sind. Die SED-Diktatur ließ überhaupt keine freien Bürger zu, sondern verordnete, wie sich „unsere Menschen“ zu fühlen hatten. Man kann nicht erwarten, dass sich mit der Wiedervereinigung alles, was die Nazidiktatur und vierzig Jahre DDR angerichtet haben, über Nacht in Wohlgefallen auflöst.“
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