Archiv der Kategorie: Gerald Praschl

Was steht auf dem Stimmzettel von der Krim?

Und so sehen die Stimmzettel aus, mit denen die Bevölkerung der Krim am Sonntag abstimmen soll: Zwei Auswahlmöglichkeiten. Ein Kreuz im oberen Feld bedeutet die Zustimmung zu : „Sie sind für eine Vereinigung der Krim mit Russland als Rechtssubjekt der Russischen Föderation“ (das ganze darunter noch auf Ukrainisch und mutmaßlich tatarisch) Ein Kreuz im unteren Feld steht für: „Sie sind für die Wiederherstellung der Verfassung der Republik Krim von 1992 und für den Status der Krim als Teil der Ukraine“, das ganze wieder darunter noch auf ukrainisch und tatarisch. Die „Wiederherstellung des Status von 1992“, wie in Option 2, wäre ein stärkerer Autonomiestatus als bisher, aber als Teil der Ukraine. http://crimea.vgorode.ua/news/214532-v-krymu-nachaly-pechatat-builleteny-dlia-referenduma

Janukowitschs Hilferuf an Putin: Echt oder falsch?

Mit diesem Brief des nach Russland geflohenen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch an Putin, den gestern, 3. März 2014, der russische UN-Botschafter dem UN-Sicherheitsrat vorlegte, rechtfertigt Russland seinen Einmarsch in die Ukraine. Auszug von Janukowitschs angeblichem Hilferuf:
“Under the influence of Western countries there are open acts of terror and violence. People are being persecuted for language and political reasons.
So in this regard I would call on the president of Russia, Mr Putin, asking him to use the armed forces of the Russian Federation to establish legitimacy, peace, law and order, stability and defending the people of Ukraine“. . Vollständige AFP-Meldung: http://bhcourier.com/deposed-ukrainian-leader-asks-putin-troops-russia/2014/03/03

Bei seiner Pressekonferenz drei Tage zuvor, am 28.Februar, im russischen Rostow am Don, sagte Janukowitsch dagegen: „Jede militärische Handlung in dieser Situation wäre unakzeptabel. Ich bin nicht dabei, (an Russland) wegen militärischer Hilfe heranzutreten. Die Ukraine muss ein einheitlicher und unteilbarer Staat bleiben.“ Hier der entsprechende Link mit der Transkription der Pressekonferenz. http://rus.ruvr.ru/…/Press-konferencija-prezidenta…/ Wortlaut: „Любые военные действия в такой ситуации недопустимы. Я не собираюсь обращаться за военной поддержкой [к России]. Украина должна оставаться единой и неделимой.“

Lesenswert: Andrzej Stach über Gaucks Olympia-Absage

Andrzej Stach

Russland, Ukraine und die verkannte Macht des Bundespräsidenten

 

Die Entscheidung des Bundespräsidenten, Joachim Gauck, nicht zu den Winterspielen nach Sotschi hinzufahren, gehört wie ich glaube zu den bislang gewichtigsten politischen Entscheidungen seiner Amtszeit. Als Grund vermuten sowohl Befürworter als auch Kritiker der Entscheidung unisono den autokratisch regierenden Präsidenten Putin dahinter. Dabei bleibt der Bundespräsident nur seinem Kurs treu, für Menschenrechte und Freiheit einzutreten. 

 

Für Gaucks Kritiker spielen die menschenunwürdigen Umstände bei der baulichen Vorbereitung der Winterspiele in Sotschi keine Rolle. Abgefunden haben sie sich auch mit den unzähligen politischen Gefangenen in Russland. Seine politischen Expansionsgelüste als Mittel zur Wiedererrichtung eines neuen Imperiums deuten sie als legitime Wahrung russischer Interessen. Im Vordergrund stehen für sie die wirtschaftlichen Fragen. Dabei ist es ihnen egal, wie Russland selbst die wirtschaftlichen Interessen und die politische Souveränität der Ukraine und anderer Länder bedroht. Deshalb müssten jetzt alle EU-Mitglieder mit einer Stimme sprechen, und zwar sowohl über und mit Russland als auch mit der Ukraine.      

 

Die Ereignisse in Kiew gehören in denselben Kontext. Sie zeigen dabei, wie wenig wir hier in West- und Mitteleuropa von dem nächsten Nachbarn in Europas Osten wissen oder wissen wollen. Bezeichnenderweise schwenken die Demonstranten bei Protesten in Kiev z.B. massenhaft die EU-Fahnen neben ihren Nationalfahnen und Nationalsymbolen. Aber es fehlt etwas bei den Massenprotesten, was man eigentlich hätte zahlreich erwarten können. Ja, und zwar die Fotos der von der EU-Politik einseitig zum ukrainischen Symbol erhobenen Julia Timoschenko, die von den Demonstranten vergessen zu sein scheint.

 

Mit dem Fehlen des schönen Konterfeis nehmen die Demonstranten der EU-Politik ihr schönes Feigenblatt weg und stellen die Scheinheiligkeit ihrer bisherigen Politik bloß. Denn es geht den Menschen auf dem Maidan nicht um die prominente Gefangene. Sie fordern vor allem die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten, Bestrafung der Schuldigen für die brutalen Polizeiübergriffe und den Rücktritt der Regierung von Janukowicz. Und obendrein zeigen sie ihren Willen, nach den Werten und Prinzipien der EU zu leben, und zwar ohne politische und wirtschaftliche Bevormundung seitens anderer Länder.

 

In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des Bundespräsidenten ein zusätzliches wichtiges Zeichen. Joachim Gauck beweist damit, dass man das ohne wirkliche politische Macht ausgestattete Amt des Bundespräsidenten zur Verteidigung und Unterstützung der Freiheits- und Bürgerrechte verwenden kann, und zwar auch in der unmittelbaren Nachbarschaft in Europa. Ihn jetzt als „anti-russisch“ abstempeln zu wollen ist absurd. Es würde auch niemand Bundeskanzlerin Merkel „anti-ukrainisch“ nennen, weil sie den pro-europäischen Demonstranten-Anführer in Kiew, Vladimir Klitschko, unterstützt und nicht den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch

Die Krim-Krise und der neue Kalte Krieg

Glaubt man den russischen TV-Medien, tobt in der Ukraine eine Art „ethnische Säuberung“. Banden von „Faschisten“ und „Banderisten“ terrorisieren dort russischstämmige Ukrainer. Zehntausende Russen seien davor auf der Flucht. Einer der größten russischen Sender, „Pervij“, zeigt dazu gefakte Bilder von langen Warteschlangen vor der Grenze (witzigerweise die falsche, die ukrainische Westgrenze.) Ein junger Mann berichtet im Nachrichtenkanal „Rossija 24“, er sei in der Ukraine festgenommen und geschlagen worden, weil er Russe sei. Und die „Stimme Russlands“ „entlarvt“ die „amerikanische Aggression gegen Russland“. 

Auch aus dem Westen hagelt es harte Töne. US-Außenminister John Kerry verurteilt die Besetzung der Krim als „beispiellosen Akt der Aggression“ von Russland gegen die Ukraine. Vieles sieht danach aus, als gehe der Kalte Krieg nach 25 Jahren Pause in eine zweite Runde.

Im Sommer 1989 hatte der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow den „Kalten Krieg“ für beendet erklärt – bei seinem legendären Besuch bei Helmut Kohl in Bonn. Schon damals spielten die Deutschen eine Schlüsselrolle, oft vermittelnd und abwiegelnd, Fürsprecher einer „Entspannungspolitik“. Sie waren, anders als Amis, Briten oder Franzosen, ja auch direkt „an der Front“, zwischen Ost und West, alle Folgen einer Konfrontation hätten Deutschland zuerst getroffen.

Wenn nun ein neuer Kalter Krieg zwischen dem Westen und Moskau eröffnet ist, liegt diese Front nicht mehr in Berlin oder im Eichsfeld, sondern 1700 Kilometer weiter östlich, auf der Krim. Und doch ist Deutschland wieder in einer Schlüsselposition.

Das war schon bei der Revolution Ende Februar in Kiew so. Die dramatische Woche hatte mit einem Besuch der Oppositionsführer Klitschko und Jazeniuk in Berlin begonnen. Und ihren Höhepunkt mit einem von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vermittelten „Waffenstillstand“ in Kiew vier Tage später erreicht. Für beide Oppositionsparteien – die nunmehr die bestimmenden Kräfte im Lande sind – hatte die deutsche CDU schon vor langem eine Art „Patenschaft“ übernommen, pflegte enge Kontakte. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass Deutschland, anders als die anderen großen westlichen Staaten, sich trotz des offensichtlichen Einmarsches russischer Truppen auf der Krim Ende letzter Woche mit Protest zunächst auffallend zurückhielt. In höchst diplomatischem Ton warnte Steinmeier  vor einem „Verstoß gegen die Souveränität“ der Ukraine – als Tausende bei Nacht und Nebel eingeflogene russische Soldaten ohne Hoheitszeichen schon längst die Straßen der Krim kontrollierten. Um „Äquidistanz“ zu dokumentieren, packte Steinmeier noch eine Mahnung an die neue ukrainische Regierung hinein, die „Rechte von Minderheiten einschließlich der Nutzung von Sprachen“ zu gewährleisten. Das war eine Anspielung auf ein auch in Kiew umstrittenes Sprachengesetz, das Ukrainisch wieder zur alleinigen Amtssprache machen soll. Das man um die Frage, welche Sprache der Lehrer in der Schule spricht, keine Kriege führt, sagte Steinmeier nicht. Er wies auch den US-Vorschlag zurück, Russland aus den „G-8“-Treffen der wichtigsten westlichen Staatschefs auszuschließen.

Von der Kanzlerin war tagelang zum Thema gar nichts zu hören, sie wartete ab. Als USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich einen wesentlich härteren Ton anstimmten und „die eindeutige Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität“ verurteilten, stimmte dann auch sie mit ein. Die Vorbereitungen für einen für Juni geplanten „G-8“-Treff mit Putin im russischen Sotschi sind seitdem ausgesetzt. Die Kanzlerin verkündete aber, sie strebe die Bildung einer „Kontaktgruppe“ an. Die Zurückhaltung hat auch wirtschaftliche Gründe. Von einer neuen Eiszeit zwischen dem Westen und Russland, von Sanktionen, gar von einem Handelskrieg mit Boykotten und Embargos, wie im Kalten Krieg vor 1989, wäre Deutschland als wichtigster Handelspartner Russlands in der EU besonders betroffen. Am härtesten träfe aber ein neuer Ost-West-Konflikt Russland selbst. Schon kurz nach Beginn der russischen Okkupation stürzten in Moskau die Börsenkurse ab.

Wie einst im Kalten Krieg verschwimmen Fakten im Nebel der Propaganda. Im „von oben“ gesteuerten russischen Fernsehen sowieso: Vieles erinnert in Art und Inhalt an Schnitzlers „Schwarzen Kanal“ und entbehrt jeglicher Fakten. Denn anders als dort dargestellt, haben weder in der Ukraine „Faschisten“ die Macht übernommen, noch gibt es von dort „Hilferufe“ russischer Ukrainer, im Gegenteil, viele russisch-ukrainische Intellektuelle und die russisch-orthodoxe Kirche in der Ost-Ukraine forderten Moskau auf, sich herauszuhalten. Es gibt auch keine Fluchtwelle von Russen aus dem Land.

Auch im Westen ist von der „Russischen Krim“ zu lesen. Die Argumente: Zwei Drittel der Bevölkerung seien ethnische Russen (das andere Drittel Ukrainer und Tataren). Und die Krim gehöre bereits seit dem 18. Jahrhundert zu Russland, sei nur zufällig zur Sowjetzeit bei der Ukraine gelandet. Das alles stimmt. Nur: Würde man im Rest Europas anfangen, nach diesen Kriterien die Grenzen neu zu ordnen – eine Neuauflage nicht nur des Kalten, sondern eines heißen Krieges wäre sicher.

Gerald Praschl

Erschienen in SUPERillu/Heft 11/2014