Archiv der Kategorie: Gerald Praschl

Janukowitschs Hilferuf an Putin: Echt oder falsch?

Mit diesem Brief des nach Russland geflohenen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch an Putin, den gestern, 3. März 2014, der russische UN-Botschafter dem UN-Sicherheitsrat vorlegte, rechtfertigt Russland seinen Einmarsch in die Ukraine. Auszug von Janukowitschs angeblichem Hilferuf:
“Under the influence of Western countries there are open acts of terror and violence. People are being persecuted for language and political reasons.
So in this regard I would call on the president of Russia, Mr Putin, asking him to use the armed forces of the Russian Federation to establish legitimacy, peace, law and order, stability and defending the people of Ukraine“. . Vollständige AFP-Meldung: http://bhcourier.com/deposed-ukrainian-leader-asks-putin-troops-russia/2014/03/03

Bei seiner Pressekonferenz drei Tage zuvor, am 28.Februar, im russischen Rostow am Don, sagte Janukowitsch dagegen: „Jede militärische Handlung in dieser Situation wäre unakzeptabel. Ich bin nicht dabei, (an Russland) wegen militärischer Hilfe heranzutreten. Die Ukraine muss ein einheitlicher und unteilbarer Staat bleiben.“ Hier der entsprechende Link mit der Transkription der Pressekonferenz. http://rus.ruvr.ru/…/Press-konferencija-prezidenta…/ Wortlaut: „Любые военные действия в такой ситуации недопустимы. Я не собираюсь обращаться за военной поддержкой [к России]. Украина должна оставаться единой и неделимой.“

Lesenswert: Andrzej Stach über Gaucks Olympia-Absage

Andrzej Stach

Russland, Ukraine und die verkannte Macht des Bundespräsidenten

 

Die Entscheidung des Bundespräsidenten, Joachim Gauck, nicht zu den Winterspielen nach Sotschi hinzufahren, gehört wie ich glaube zu den bislang gewichtigsten politischen Entscheidungen seiner Amtszeit. Als Grund vermuten sowohl Befürworter als auch Kritiker der Entscheidung unisono den autokratisch regierenden Präsidenten Putin dahinter. Dabei bleibt der Bundespräsident nur seinem Kurs treu, für Menschenrechte und Freiheit einzutreten. 

 

Für Gaucks Kritiker spielen die menschenunwürdigen Umstände bei der baulichen Vorbereitung der Winterspiele in Sotschi keine Rolle. Abgefunden haben sie sich auch mit den unzähligen politischen Gefangenen in Russland. Seine politischen Expansionsgelüste als Mittel zur Wiedererrichtung eines neuen Imperiums deuten sie als legitime Wahrung russischer Interessen. Im Vordergrund stehen für sie die wirtschaftlichen Fragen. Dabei ist es ihnen egal, wie Russland selbst die wirtschaftlichen Interessen und die politische Souveränität der Ukraine und anderer Länder bedroht. Deshalb müssten jetzt alle EU-Mitglieder mit einer Stimme sprechen, und zwar sowohl über und mit Russland als auch mit der Ukraine.      

 

Die Ereignisse in Kiew gehören in denselben Kontext. Sie zeigen dabei, wie wenig wir hier in West- und Mitteleuropa von dem nächsten Nachbarn in Europas Osten wissen oder wissen wollen. Bezeichnenderweise schwenken die Demonstranten bei Protesten in Kiev z.B. massenhaft die EU-Fahnen neben ihren Nationalfahnen und Nationalsymbolen. Aber es fehlt etwas bei den Massenprotesten, was man eigentlich hätte zahlreich erwarten können. Ja, und zwar die Fotos der von der EU-Politik einseitig zum ukrainischen Symbol erhobenen Julia Timoschenko, die von den Demonstranten vergessen zu sein scheint.

 

Mit dem Fehlen des schönen Konterfeis nehmen die Demonstranten der EU-Politik ihr schönes Feigenblatt weg und stellen die Scheinheiligkeit ihrer bisherigen Politik bloß. Denn es geht den Menschen auf dem Maidan nicht um die prominente Gefangene. Sie fordern vor allem die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten, Bestrafung der Schuldigen für die brutalen Polizeiübergriffe und den Rücktritt der Regierung von Janukowicz. Und obendrein zeigen sie ihren Willen, nach den Werten und Prinzipien der EU zu leben, und zwar ohne politische und wirtschaftliche Bevormundung seitens anderer Länder.

 

In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des Bundespräsidenten ein zusätzliches wichtiges Zeichen. Joachim Gauck beweist damit, dass man das ohne wirkliche politische Macht ausgestattete Amt des Bundespräsidenten zur Verteidigung und Unterstützung der Freiheits- und Bürgerrechte verwenden kann, und zwar auch in der unmittelbaren Nachbarschaft in Europa. Ihn jetzt als „anti-russisch“ abstempeln zu wollen ist absurd. Es würde auch niemand Bundeskanzlerin Merkel „anti-ukrainisch“ nennen, weil sie den pro-europäischen Demonstranten-Anführer in Kiew, Vladimir Klitschko, unterstützt und nicht den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch

Die Krim-Krise und der neue Kalte Krieg

Glaubt man den russischen TV-Medien, tobt in der Ukraine eine Art „ethnische Säuberung“. Banden von „Faschisten“ und „Banderisten“ terrorisieren dort russischstämmige Ukrainer. Zehntausende Russen seien davor auf der Flucht. Einer der größten russischen Sender, „Pervij“, zeigt dazu gefakte Bilder von langen Warteschlangen vor der Grenze (witzigerweise die falsche, die ukrainische Westgrenze.) Ein junger Mann berichtet im Nachrichtenkanal „Rossija 24“, er sei in der Ukraine festgenommen und geschlagen worden, weil er Russe sei. Und die „Stimme Russlands“ „entlarvt“ die „amerikanische Aggression gegen Russland“. 

Auch aus dem Westen hagelt es harte Töne. US-Außenminister John Kerry verurteilt die Besetzung der Krim als „beispiellosen Akt der Aggression“ von Russland gegen die Ukraine. Vieles sieht danach aus, als gehe der Kalte Krieg nach 25 Jahren Pause in eine zweite Runde.

Im Sommer 1989 hatte der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow den „Kalten Krieg“ für beendet erklärt – bei seinem legendären Besuch bei Helmut Kohl in Bonn. Schon damals spielten die Deutschen eine Schlüsselrolle, oft vermittelnd und abwiegelnd, Fürsprecher einer „Entspannungspolitik“. Sie waren, anders als Amis, Briten oder Franzosen, ja auch direkt „an der Front“, zwischen Ost und West, alle Folgen einer Konfrontation hätten Deutschland zuerst getroffen.

Wenn nun ein neuer Kalter Krieg zwischen dem Westen und Moskau eröffnet ist, liegt diese Front nicht mehr in Berlin oder im Eichsfeld, sondern 1700 Kilometer weiter östlich, auf der Krim. Und doch ist Deutschland wieder in einer Schlüsselposition.

Das war schon bei der Revolution Ende Februar in Kiew so. Die dramatische Woche hatte mit einem Besuch der Oppositionsführer Klitschko und Jazeniuk in Berlin begonnen. Und ihren Höhepunkt mit einem von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vermittelten „Waffenstillstand“ in Kiew vier Tage später erreicht. Für beide Oppositionsparteien – die nunmehr die bestimmenden Kräfte im Lande sind – hatte die deutsche CDU schon vor langem eine Art „Patenschaft“ übernommen, pflegte enge Kontakte. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass Deutschland, anders als die anderen großen westlichen Staaten, sich trotz des offensichtlichen Einmarsches russischer Truppen auf der Krim Ende letzter Woche mit Protest zunächst auffallend zurückhielt. In höchst diplomatischem Ton warnte Steinmeier  vor einem „Verstoß gegen die Souveränität“ der Ukraine – als Tausende bei Nacht und Nebel eingeflogene russische Soldaten ohne Hoheitszeichen schon längst die Straßen der Krim kontrollierten. Um „Äquidistanz“ zu dokumentieren, packte Steinmeier noch eine Mahnung an die neue ukrainische Regierung hinein, die „Rechte von Minderheiten einschließlich der Nutzung von Sprachen“ zu gewährleisten. Das war eine Anspielung auf ein auch in Kiew umstrittenes Sprachengesetz, das Ukrainisch wieder zur alleinigen Amtssprache machen soll. Das man um die Frage, welche Sprache der Lehrer in der Schule spricht, keine Kriege führt, sagte Steinmeier nicht. Er wies auch den US-Vorschlag zurück, Russland aus den „G-8“-Treffen der wichtigsten westlichen Staatschefs auszuschließen.

Von der Kanzlerin war tagelang zum Thema gar nichts zu hören, sie wartete ab. Als USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich einen wesentlich härteren Ton anstimmten und „die eindeutige Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität“ verurteilten, stimmte dann auch sie mit ein. Die Vorbereitungen für einen für Juni geplanten „G-8“-Treff mit Putin im russischen Sotschi sind seitdem ausgesetzt. Die Kanzlerin verkündete aber, sie strebe die Bildung einer „Kontaktgruppe“ an. Die Zurückhaltung hat auch wirtschaftliche Gründe. Von einer neuen Eiszeit zwischen dem Westen und Russland, von Sanktionen, gar von einem Handelskrieg mit Boykotten und Embargos, wie im Kalten Krieg vor 1989, wäre Deutschland als wichtigster Handelspartner Russlands in der EU besonders betroffen. Am härtesten träfe aber ein neuer Ost-West-Konflikt Russland selbst. Schon kurz nach Beginn der russischen Okkupation stürzten in Moskau die Börsenkurse ab.

Wie einst im Kalten Krieg verschwimmen Fakten im Nebel der Propaganda. Im „von oben“ gesteuerten russischen Fernsehen sowieso: Vieles erinnert in Art und Inhalt an Schnitzlers „Schwarzen Kanal“ und entbehrt jeglicher Fakten. Denn anders als dort dargestellt, haben weder in der Ukraine „Faschisten“ die Macht übernommen, noch gibt es von dort „Hilferufe“ russischer Ukrainer, im Gegenteil, viele russisch-ukrainische Intellektuelle und die russisch-orthodoxe Kirche in der Ost-Ukraine forderten Moskau auf, sich herauszuhalten. Es gibt auch keine Fluchtwelle von Russen aus dem Land.

Auch im Westen ist von der „Russischen Krim“ zu lesen. Die Argumente: Zwei Drittel der Bevölkerung seien ethnische Russen (das andere Drittel Ukrainer und Tataren). Und die Krim gehöre bereits seit dem 18. Jahrhundert zu Russland, sei nur zufällig zur Sowjetzeit bei der Ukraine gelandet. Das alles stimmt. Nur: Würde man im Rest Europas anfangen, nach diesen Kriterien die Grenzen neu zu ordnen – eine Neuauflage nicht nur des Kalten, sondern eines heißen Krieges wäre sicher.

Gerald Praschl

Erschienen in SUPERillu/Heft 11/2014

Кризис в Крыму: Мир на пороге новой Холодной Войны

С вводом российских войск в Крым наступило новое охлаждение в отношениях между Западом и Россией Холодная война, часть вторая, по-видимому началась — после двадцатипятилетней паузы. Также как и тогда играет Германия в этом ключевую роль

Если верить российским масс-медия, в Украине сейчас происходят массовые «этнические чистки». Банды «фашистов» и «бандеровцев» терроризируют русских украинцев. Десятки тысяч русских покидают страну. «Первый канал» России передает кадры с очередями на якобы украинско-российской границе, при этом показывая украинско-польскую границу. На канале «Россия 24» дает интервью один арестованный участник демонстраций на Майдане из России. Он подробно описывает «ужасы» Майдана и действия «радикалов». «Голос России» «разоблачает агрессию Америки» против России. Но и со стороны Запада слышны суровые тона. Министр иностранных дел США Джон Керри осуждает ввод войск России в Крым как «акт беспрецедентной агрессии» России по отношению к Украине. Много чего указывает на то, что холодная война после двадцатипятилетней паузы вступает во второй тур. Летом 1989 года президент СССР Михаил Горбачев во время своего визита у Хелмута Коля в Келне объявил об окончании холодной войны. Уже тогда занимала Германия ключевую позицию, как посредник в «разрядке международной напряженности». Германия, конечно, в отличии от Америки, Англии и Франции, находилась на «линии фронта», между Западом и Востоком. Все последствия конфронтаций касались бы в первую очередь ее. Но если сейчас начнется новая холодная война между Москвой и Западом, то «линия фронта» будет лежать не через Берлин или Айхсфелде, а 1700 км восточнее, в Крыму. И все равно остается роль Германии при этом ключевой.

Роль Германии. Так это было и во время революции в Киеве в конце февраля. Та напряженная и решающая неделя февраля началась с визита лидеров оппозиции Яценюка и Кличко в Берлин и достигла своей кульминации с подписанием «договора о перемирии» четыря днями позже в Киеве, одним из посредников которого со стороны ЕС был Франк-Вальтер Штайнмаейр, министр иностранных дел Германии. Обе оппозиционные партии, которые теперь определяют курс страны («Удар» и «Батькивщина»), являются протеже немецкой СDU, давно поддерживают контакты. Это одна сторона медали. С другой стороны имменно Германия, в отличии от других стран Запада, реагирует сдержанно на ввод войск Россией на территорию Крыма. В высоко дипломатичном тоне предостеригал Штайнмайер о «нарушении суверенитета Украины», в то время как тысячи российских солдат без знаков отличия уже контролировали Крым. К тому же он призвал новую власть Украины «гарантировать права меньшинств, включая и использование языка». Речь идет о «языковом законе», который должен был сделать украинский единственным государственным. О том, что из-за того, на каком языке в школе проводят уроки, не ведутся войны, Штайнмайер промолчал. К тому же он отклонил предложение США исключить Россию от саммита «большой восьмерки». Все это время и Канцлер Германии Ангела Меркель не высказывалась на эту тему, выжидая. Наконец после того как США, Канада, Великобритания и Франция заняли более резкую позицию и осудили «очевидное нарушение суверенитета и территориальной целостности Украины», поддержала это и она. Подготовка к запланированному в июне саммиту «большой восьмерки» в Сочи была прекращена. Также канцлер заявила, что она выступает за создание группы для начала политического диалога по урегулированию кризиса на Украине. Эта сдержанность имеет конечно экономические причины. Последствия при изменении в отношениях между Западом и Москвой, возможных санкциях или «торговой войне» и эмбарго, как во время холодной войны до 1989, затронуло бы в первую очередь Германию как самого важного торгового партнера России в ЕС. Но при новом конфликте между Востоком и Западом больше всех рискует сама Россия. Уже сразу после его начала в России рухнули биржи и курс рубля.

Дезинформация. Также как и во время холодной войны факты рысплываются в тумане пропаганды. А в российских масс-медия, которые контролируются «сверху», в любом случае. Многое в российских масс-медия напоминает передачу Шницлера «Черный канал» в ГДР. И вопреки распостраняемой информации в Украине власть не захватили «фашисты», и русские украинцы не зовут на помощь Россию. А наоборот: Многие русско-украинские интеллектуалы и русская православная церковь в восточной Украине призывают Москву остановиться. И мнимых русских беженцев тоже нет. На Западе часто можно слышать о «Русском Крыме» с такими аргументами: две третьих населения Крыма являются этническими русскими (остальная треть украинцы и татары); Крым принадлежал с 18 века России и лишь в силу случайных обстоятельств оказался в составе Украины. Все это верно. Но вот только начнут ли в Европе по этим критериям перекраивать границы? В этом случае это было бы началом не только холодной, но и горячей войны.

Геральд Прашль

Перевод: Татьяна Рещинска

 


Kommentar: Welcher „russische Rechtsstaat“, Herr Mißfelder?

Angesichts der systematischen Zersetzungsmaßnahmen, mit denen der russische Staat Oppositionelle, Journalisten, Aufarbeiter und sonstige Akteure der Zivilgesellschaft überzieht, kann ich den „russischen Rechtsstaat“, den CDU-Politiker Philipp Mißfelder durch die Ankündigung einer „Amnestierung“ von Pussy Riot und Chodorkowski gestärkt sehen will, nicht erkennen.http://www.presseportal.de/pm/7846/2625084/missfelder-russisches-amnestie-gesetz-staerkt-vertrauen-in-den-rechtsstaat Lieber Herr Mißfelder: Es gibt keinen Rechtsstaat in Russland, sondern nur einen gerade offenbar gütig gestimmten Herrscher. Putin ist auch nicht der erste Potentat, der im Vorfeld Olympischer Spiele mit der Freilassung politischer Häftlinge gut Wetter machen will. Sie sollten, lieber Herr Mißfelder, nicht in dieselbe Falle tappen wie Gerhard Schröder. Es ist gut, hierzulande um Verständnis und Interesse für Russland zu werben, da haben Sie recht. Es bringt aber nichts, sich die Verhältnisse dort dabei schön zu reden. Russland ist derzeit eine Diktatur, mit Wahlfälschung, Medienzensur, Verfolgung politisch Andersdenkender, Ein-Parteien-Herrschaft, Geheimpolizei. Kein Rechtsstaat. Keine „lupenreine“ Demokratie.