Zeitreise in die ukrainischen Dörfer des 16. Jahrhunderts

Auf zahllosen Dörfern der ländlichen Ukraine finden sich bis heute viele Zeugnisse der Vergangenheit, weit mehr als „im Westen“ – alte Bauernhäuser vergangener Jahrhunderte,  Kirchen und Mühlen – auch wenn die meisten Dörfler inzwischen in modernere Gebäude nebenan umgezogen sind.  Doch die Fotos hier entstanden mitten in der Millionenstadt Kiew. Das dortige „Museum für Volksarchitektur und Brauchtum der Ukraine“ , im Süden der Hauptstadt gelegen, wirbt für sich selbst als „größtes Freilichtmuseum Europas“. Und wenn man einmal versucht hat, die 131 Hektar große Park- und Waldlandschaft, nur wenige Kilometer vom quirligen Maidan und der belebten Prachtstraße Kreschtschatik entfernt,  an nur einem Tag zu erkunden, dann glaubt man das. Ein Spaziergang, der eine einmalige Zeitreise ist.
Über 300 alte Bauernhäuser wurden aus allen Teilen der Ukraine herangeschafft, wiederaufgestellt und restauriert, verteilt auf mehrere historische „Dörfer“, die einzelne Landschaften des riesigen Landes, das doppelt so groß ist wie Deutschland, repräsentieren:  Podolien, Polesien, Wolhynien, die Karpatenregion, das Land zu beiden Seiten des Dnepr.

Das älteste Haus ist ein Vierseithof aus Wolhynien aus dem Jahr 1587. Ein mächtiger, befestigter Wehrbauernhof, der zum einen vom Wohlstand seines Besitzers zeugt, aber auch davon, dass er um diesen fürchten musste. Das Gebiet seines kleinen Dorfes, Samari, lag damals zwar inmitten des über Jahrhunderte stabilen und blühenden Doppelkönigtums Polen-Litauen, wurde aber im 16. Jahrhundert immer noch von Überfällen der Tataren aus dem Osten heimgesucht. Nebenbei hatte er vielleicht auch einfach neidische Nachbarn. Die meisten Bauern waren arm, auch davon zeugen viele Häuser in den Museumsdörfern.

Das älteste Gebäude des Museums, ein ukrainischer Vierseithof eines Wehrbauern aus dem 16. Jahrhundert
Das älteste Gebäude des Museums, ein ukrainischer Vierseithof eines Wehrbauern aus dem 16. Jahrhundert

Mehrere, innen prächtig ausgestattete hölzerne Dorfkirchen zeugen von der großen Bedeutung, die die einfachen ukrainischen Bauern, die sie erbauten,  damals ihrer Religion zumaßen.

Eine hölzerne Dorfkirche aus dem 18. Jahrhundert. Sie stand ursprünglich im Oblast Tscherkassy
Eine hölzerne Dorfkirche aus dem 18. Jahrhundert. Sie stand ursprünglich im Oblast Tscherkassy

 

Die Häuser aus dem 16. bis 19. Jahrhundert  zeugen auch davon, dass sich das Leben damals über Jahrhunderte wenig veränderte – bis im 20. Jahrhundert plötzlich vieles ganz anders wurde.  Einiges aus ähnlichen Gründen wie im Westen Europas:  die Industrialisierung der Landwirtschaft, die Abwanderung in die großen Städte, wo Wohlstand und Arbeit lockten.  Doch für die ukrainischen Dörfer kam eine große Katastrophe hinzu – die Bolschewiken, die schon kurz nach der Oktoberrevolution, mit dem ukrainischen Bürgerkrieg, den sie für sich entschieden,  seit Anfang der 20er Jahre auch einen Großteil der heutigen Ukraine kontrollierten. Die freien Bauern  der ukrainischen Dörfer galten den Bolschewiken als Feinde, weil sie an ihre Unabhängigkeit als Selbstversorger und ihre christliche Religion glaubten und nicht an den Sozialismus.

Millionen Menschen auf dem Lande, ob Landarbeiter oder Großbauer, verhungerten während des von den sowjetischen Machthabern organisierten „Holodomor“,  der großen Hungersnot von 1932/33 (https://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor), der sie als gesellschaftliche Klasse ausrotten und den Weg zur Kollektivierung der Landwirtschaft ebnen sollte. Auch dafür sind die Bauernhäuser von Kiew stumme Zeugen.

Das Kiewer „Museum für Volksarchitektur und Brauchtum der Ukraine“ gibt es schon seit der späten Sowjetzeit, es wurde 1969 gegründet. Heute ist es ein vielbesuchter Ort, mehr Infos hier: http://pyrohiv.com.ua 

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