Von Gerald Praschl, erschienen in SUPERillu Heft 18/2010
Brunhilde Hanke, einst Bürgermeisterin von Potsdam, war SED-Funktionärin, ihre Tochter Bärbel wollte in den Westen abhauen. Das hat sie entzweit. Heute wieder versöhnt, wirbt Tochter Bärbel mit einem Buch, das sie zusammen mit dem einstigen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye schrieb, um Verständnis für ihre einst linientreue Mutti. Und erklärt, warum sie den Kommunismus heute für überholt hält.
Es war ein Generationenkonflikt, wie es ihn in vielen DDR-Familien gab. Die Eltern begeistert vom Sozialismus, die eigenen Kinder Rebellen gegen das System. Wie bei den Hankes aus Potsdam. Nach außen hin wirkten sie wie eine sozialistische Musterfamilie. Mutter Brunhilde (heute 80) war Spitzenfunktionärin. Von 1961 bis 1984 SED-Oberbürgermeisterin von Potsdam, Mitglied im Staatsrat und Volkskammerabgeordnete, eine gläubige Parteisoldatin. Aber dann brach diese Fassade zusammen, als Ende der 70er-Jahre ihre Tochter Bärbel von der Stasi dabei erwischt wurde, wie sie mit Freunden die Flucht in den Westen plante.
Der blinde Glaube
Auch wenn es schwer vorstellbar ist: Mutter Brunhilde beteuert bis heute, dass es das erste Mal war, dass sie an ihrer geliebten DDR zweifelte. Die Stasi, die politische Verfolgung Andersdenkender, habe sie bis dahin gar nicht wahrgenommen. Brunhilde Hanke: „Ich wusste, dass es in Bautzen politische Gefangene gab, aber was sich dort genau abspielte, damit hatte ich keine Berührung. Vielleicht kann man sagen, ich war naiv. Stellen Sie sich vor: Ich hatte drei Kinder. Ich war gleichzeitig Oberbürgermeisterin. Das hat mich unerhört viel Kraft gekostet. Irgendwann stößt man da an seine physischen Grenzen. Vielleicht habe ich auch deshalb manches bewusst verdrängt.“
Die erste Generation
Brunhilde Hanke, zu Kriegsende 15 Jahre alt, gehört zu einer Generation, von der viele von der Gründung und den Aufbaujahren der DDR begeistert waren. »Wir wollten ein anderes Land«. Der Titel des Buches, das Tochter Bärbel jetzt mit dem »Westler« Uwe-Karsten Heye (dem einstigen Regierungssprecher von Bundeskanzler Gerhard Schröder) schrieb, wirbt um Verständnis für den aus heutiger Sicht naiven Aufbruchsgeist ihrer Jugend, an den viele inzwischen Hochbetagte wehmütig zurückdenken. Auch wenn Massenflucht, Volksaufstand, Stasi-Terror und Misswirtschaft damals schon Fragen aufwarfen. Brunhilde Hanke erinnert sich an die 50er-Jahre, als sie an einer Kaderschmiede in Moskau zur Funktionärin ausgebildet wurde: „Wir haben an die Sache fest geglaubt, auch an Stalin. Wir wurden in einem Geist erzogen, in dem Stalin wie ein Gott für uns war. Es war für uns eine furchtbare Enttäuschung, als seine Machenschaften enttarnt wurden.“
Der Aufstand
Die erste von vielen Enttäuschungen. Aber erst als sich ihre eigene Tochter Bärbel von dem Staat abwandte, den sie mit aufgebaut hatte, werden diese Zweifel übermächtig. Bärbel erinnert sich: „Für Mutti war das schwer. In ihrem Glauben an das System war sie zwar unerschütterlich. Auf der anderen Seite glaubte sie aber auch nicht, dass ich lüge, als ich ihr erzählte, wie die Stasi mich abgeholt hatte. Dass meine Freunde im Gefängnis sitzen. Und warum wir geplant hatten, in den Westen zu fliehen. Ich wollte einfach freier sein, und das ging bei uns in der DDR nicht. Die DDR war fehlkonstruiert, misstrauisch, kleinkariert, schlampig, dumm, hinterhältig und nachtragend. Ich fühlte mich katastrophal beengt. Unerträglich! Inzwischen war außerdem schon mein halber Freundeskreis in den Westen ausgereist.“
Der Bruch
Ihre eigene Tochter will nicht in dem Land leben, das sie mit aufgebaut hat! Daran zerbricht Brunhildes Welt. Wahrscheinlich auch wegen der vielen Zweifel wird sie herzkrank. Zur Kommunalwahl 1984 tritt sie, erst 54 Jahre alt, nicht mehr an. Ehemann Helmut, wie sie einst ein gläubiger Kommunist, verzweifelt, wird psychisch krank. Quälende Jahre, die die Familie fast zerreißen. Während Tochter Bärbel heilfroh ist, als die Mauer fällt und die DDR zugrunde geht, hofft Mutter Brunhilde bis zuletzt, dass es mit Gorbatschows Reformen noch eine Rettung hin zu einer »besseren DDR« gibt. Brunhilde Hanke: „Es hat lange gedauert, bis ich eine kritische Distanz zu dem Land, das ich mitaufgebaut habe, gefunden habe. Ich will und kann aber nicht alles über Bord werfen und bitte dafür um Verständnis.“
Es war schließlich ihr Leben.