Volkmar Kleinert: Ich wollte nicht spitzeln. Und fürchtete die Rache der Stasi

In “Das Leben der Anderen” spielt er einen DDR-Regisseur, der sich aus Verzweiflung über sein von der SED verhängtes Berufsverbot das Leben nimmt. Auch im wirklichen Leben hatte er Probleme mit der Stasi.

Volkmar Kleinert (rechts) mit Sebastian Koch in "Das Leben der Anderen" 2006
Volkmar Kleinert (rechts) mit Sebastian Koch in “Das Leben der Anderen” 2006

Volkmar Kleinert hat in dem Kino-Hit »Das Leben der Anderen« eine tragische Rolle. Er spielt den Regisseur Albert Jerska,der völlig gebrochen ist,weil das SED-Regime ein Berufsverbot gegen ihn verhängt hat.Und der sich deshalb schließlich selbst umbringt. In SUPERillu erzählt Kleinert, damals Schauspieler am Deutschen Theater in Ost-Berlin und bei der DEFA, was er selbst mit SED und Stasi erlebte:

„Ich war als junger Mann in den 50er-Jahren voller Sympathie für die sozialistischen Ideale. Ich bewunderte die Antifaschisten, die das KZ überlebt hatten. Und die vielen Intellektuellen wie Anna Seghers oder Jürgen Kuczynski, die am Aufbau einer großen Sache mitwirken wollten. Doch die kühne Idee vom Sozialismus pervertierte mit den Jahren immer mehr. Die DDR war am Ende so desolat, dass sie nur noch durch den Staatssicherheitsapparat zusammengehalten werden konnte. Mit Überwachung, Spitzeln, Willkür.

 

Der Horror. Auch mich wollte man als Spitzel anwerben. Es war 1963, kurz nach meinem Studium. Ich arbeitete als junger Schauspieler am Theater in Karl-Marx-Stadt. Eines Tages klingelte es an meiner Tür. Zwei Herren standen draußen, ich bat sie herein. Sie kamen gleich zur Sache. Ob ich ihnen nicht berichten könnte, wenn in meinem Bekanntenkreis »republikfeindlich« gedacht würde. Im Gegenzug boten sie mir berufliche Hilfe an.»Sie wollen doch sicher später an einem der großen Theater in Berlin spielen. Wir könnten Ihnen dabei helfen. meinte, wenn Freunde oder Kollegen anderer Meinung seien als ich, dann ginge das nur uns an. Die Stasi-Leute bohrten weiter: »Na, überlegen Sie sich das! Nächsten Mittwoch um 13 Uhr rufen wir Sie an und wollen wissen: Ja oder Nein!« Für die Stasi zu spitzeln kam für mich nicht in Frage. Wenn Leute heute sagen,sie haben mitgemacht,weil sie Angst um ihre Existenz oder ihre Familie hatten, ist das unglaubwürdig. Denn sie hätten wissen müssen, was es bedeutet hat, was es in der Praxis bedeutet, seine Freunde oder Kollegen zu verraten. Aber natürlich hatte ich Angst. Ich schlief in der ganzen Woche nur ein paar Stunden, wurde immer verzweifelter. Am besagten Mittwoch saß ich klatschnass,mit schwitzenden Händen,ab elf Uhr am Telefon. Voller Sorge:Was macht man hier mit dir? Bist du dabei, dir dein ganzes Leben zu verbauen, wenn du nicht mitmachst? Punkt 13 Uhr klingelte es. Der Stasi-Mann war dran: „Hallo, Herr Kleinert, wir waren doch verabredet…“ Ich brüllte ins Telefon: „NEIN! Ich will nicht!“

Die Überraschung. Wochenlang wartete ich auf Reaktionen seitens der Stasi. Auf Schikanen, berufliche Nachteile. Doch es passierte nichts. Ein Jahr später bekam ich das Angebot von Wolfgang Heinz,dem Intendanten des Deutschen Theaters, nach Berlin zu wechseln. Mein großer Traum ging in Erfüllung. Erst jetzt war ich auch von der Angst vor der Stasi befreit. Auch in den Folgejahren gab es keine Konsequenzen. Es war also auch möglich,nein zu sagen. Ich war wie die meisten DDR-Bürger kein Held. Es gab sicher nur wenige, die bereit waren, für ihren Widerstand ins Gefängnis zu gehen. Der viel größere Teil der Menschen passte sich eben so weit an, wie es unbedingt sein musste, um die Existenz zu erhalten, und zog sich ansonsten in die private Nische zurück. Sie haben gearbeitet, gelebt, geliebt und müssen kein schlechtes Gewissen haben.Der Mensch ist nicht zum Widerstandskämpfer geboren. Ich für meinen Teil bin stolz, dass ich wie viele meiner Schauspieler- Kollegen am Deutschen Theater in Berlin versucht habe, ehrlich und anständig zu bleiben. Wir verfolgten die Entwicklung der DDR sehr kritisch und bemühten uns,das unseren Zuschauern mit unseren künstlerischen Mitteln auch mitzuteilen.

Missbrauchte Ideale. Ich war kein Opfer des Regimes. Im Gegenteil, ich war privilegiert. Ich durfte sogar zu Gastspielen unseres Ensembles in den Westen reisen. Ich kann mich also wirklich nicht beschweren. Aber meine Gedanken begleiten generell die Schicksale der Menschen,deren Biographien durch das SED-Regime gebrochen wurden. Und die vielen Menschen, die im Gefängnis saßen oder Psycho-Folter ausgesetzt waren. Und die, deren Hoffnung auf den Sozialismus von den Funktionären missbraucht wurde.

Am Ende. Ich denke, dass viele führende Funktionäre von SED und Stasi am Ende selbst nicht mehr vom Überleben der DDR überzeugt waren und ihre Ideale verloren hatten. Ich kannte einen führenden Stasi-Mitarbeiter, der mir 1988 im Vertrauen erzählte: »Junge, wir sind am Ende! Noch ein Jahr,dann bricht das hier zusammen. Alles ist kaputt, die Moral, die Wirtschaft, selbst die Wasserleitungen, die Straßen, alles. Wir haben keinen Pfennig Geld mehr.« Und dieser Mann, ein glühender Kommunist, fügte noch hinzu: »Es ist gut so, wir hatten die Chance,wir haben sie nicht genutzt. Wir haben die Idee selbst verraten.«

Aufgezeichnet von Gerald Praschl.

Mehr über “Das Leben der Anderen” und das wahre DDR-Leben der Darsteller hier.

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