Die Krim-Krise und der neue Kalte Krieg

Glaubt man den russischen TV-Medien, tobt in der Ukraine eine Art „ethnische Säuberung“. Banden von „Faschisten“ und „Banderisten“ terrorisieren dort russischstämmige Ukrainer. Zehntausende Russen seien davor auf der Flucht. Einer der größten russischen Sender, „Pervij“, zeigt dazu gefakte Bilder von langen Warteschlangen vor der Grenze (witzigerweise die falsche, die ukrainische Westgrenze.) Ein junger Mann berichtet im Nachrichtenkanal „Rossija 24“, er sei in der Ukraine festgenommen und geschlagen worden, weil er Russe sei. Und die „Stimme Russlands“ „entlarvt“ die „amerikanische Aggression gegen Russland“. 

Auch aus dem Westen hagelt es harte Töne. US-Außenminister John Kerry verurteilt die Besetzung der Krim als „beispiellosen Akt der Aggression“ von Russland gegen die Ukraine. Vieles sieht danach aus, als gehe der Kalte Krieg nach 25 Jahren Pause in eine zweite Runde.

Im Sommer 1989 hatte der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow den „Kalten Krieg“ für beendet erklärt – bei seinem legendären Besuch bei Helmut Kohl in Bonn. Schon damals spielten die Deutschen eine Schlüsselrolle, oft vermittelnd und abwiegelnd, Fürsprecher einer „Entspannungspolitik“. Sie waren, anders als Amis, Briten oder Franzosen, ja auch direkt „an der Front“, zwischen Ost und West, alle Folgen einer Konfrontation hätten Deutschland zuerst getroffen.

Wenn nun ein neuer Kalter Krieg zwischen dem Westen und Moskau eröffnet ist, liegt diese Front nicht mehr in Berlin oder im Eichsfeld, sondern 1700 Kilometer weiter östlich, auf der Krim. Und doch ist Deutschland wieder in einer Schlüsselposition.

Das war schon bei der Revolution Ende Februar in Kiew so. Die dramatische Woche hatte mit einem Besuch der Oppositionsführer Klitschko und Jazeniuk in Berlin begonnen. Und ihren Höhepunkt mit einem von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vermittelten „Waffenstillstand“ in Kiew vier Tage später erreicht. Für beide Oppositionsparteien – die nunmehr die bestimmenden Kräfte im Lande sind – hatte die deutsche CDU schon vor langem eine Art „Patenschaft“ übernommen, pflegte enge Kontakte. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass Deutschland, anders als die anderen großen westlichen Staaten, sich trotz des offensichtlichen Einmarsches russischer Truppen auf der Krim Ende letzter Woche mit Protest zunächst auffallend zurückhielt. In höchst diplomatischem Ton warnte Steinmeier  vor einem „Verstoß gegen die Souveränität“ der Ukraine – als Tausende bei Nacht und Nebel eingeflogene russische Soldaten ohne Hoheitszeichen schon längst die Straßen der Krim kontrollierten. Um „Äquidistanz“ zu dokumentieren, packte Steinmeier noch eine Mahnung an die neue ukrainische Regierung hinein, die „Rechte von Minderheiten einschließlich der Nutzung von Sprachen“ zu gewährleisten. Das war eine Anspielung auf ein auch in Kiew umstrittenes Sprachengesetz, das Ukrainisch wieder zur alleinigen Amtssprache machen soll. Das man um die Frage, welche Sprache der Lehrer in der Schule spricht, keine Kriege führt, sagte Steinmeier nicht. Er wies auch den US-Vorschlag zurück, Russland aus den „G-8“-Treffen der wichtigsten westlichen Staatschefs auszuschließen.

Von der Kanzlerin war tagelang zum Thema gar nichts zu hören, sie wartete ab. Als USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich einen wesentlich härteren Ton anstimmten und „die eindeutige Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität“ verurteilten, stimmte dann auch sie mit ein. Die Vorbereitungen für einen für Juni geplanten „G-8“-Treff mit Putin im russischen Sotschi sind seitdem ausgesetzt. Die Kanzlerin verkündete aber, sie strebe die Bildung einer „Kontaktgruppe“ an. Die Zurückhaltung hat auch wirtschaftliche Gründe. Von einer neuen Eiszeit zwischen dem Westen und Russland, von Sanktionen, gar von einem Handelskrieg mit Boykotten und Embargos, wie im Kalten Krieg vor 1989, wäre Deutschland als wichtigster Handelspartner Russlands in der EU besonders betroffen. Am härtesten träfe aber ein neuer Ost-West-Konflikt Russland selbst. Schon kurz nach Beginn der russischen Okkupation stürzten in Moskau die Börsenkurse ab.

Wie einst im Kalten Krieg verschwimmen Fakten im Nebel der Propaganda. Im „von oben“ gesteuerten russischen Fernsehen sowieso: Vieles erinnert in Art und Inhalt an Schnitzlers „Schwarzen Kanal“ und entbehrt jeglicher Fakten. Denn anders als dort dargestellt, haben weder in der Ukraine „Faschisten“ die Macht übernommen, noch gibt es von dort „Hilferufe“ russischer Ukrainer, im Gegenteil, viele russisch-ukrainische Intellektuelle und die russisch-orthodoxe Kirche in der Ost-Ukraine forderten Moskau auf, sich herauszuhalten. Es gibt auch keine Fluchtwelle von Russen aus dem Land.

Auch im Westen ist von der „Russischen Krim“ zu lesen. Die Argumente: Zwei Drittel der Bevölkerung seien ethnische Russen (das andere Drittel Ukrainer und Tataren). Und die Krim gehöre bereits seit dem 18. Jahrhundert zu Russland, sei nur zufällig zur Sowjetzeit bei der Ukraine gelandet. Das alles stimmt. Nur: Würde man im Rest Europas anfangen, nach diesen Kriterien die Grenzen neu zu ordnen – eine Neuauflage nicht nur des Kalten, sondern eines heißen Krieges wäre sicher.

Gerald Praschl

Erschienen in SUPERillu/Heft 11/2014