Herr Präsident, haben Sie Mitleid mit Julia Timoschenko?“

Interview: Gerald Praschl, erschienen in SUPERillu Heft 26/2012

Das fragte ich, drei Wochen vor dem Finale der Fußball-EM 2012 Wiktor Janukowitsch, Präsident der Ukraine, der wegen der Behandlung seiner einstigen politischen Rivalin, Julia Timoschenko und Demokratie-Defiziten in seinem Land heftiger Kritik und Boykott-Drohungen ausgesetzt war. Das Interview, Juni 2012, im Präsidentenpalast in Kiew:

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Herr Präsident, viele westliche Politiker boykottieren wegen des Falls Timoschenko die EM. Wie finden Sie das?

Janukowitsch: Ich finde das sehr negativ. Es ist falsch, Politik und Sport zu vermischen, wie die Geschichte schon mehrmals gezeigt hat. Man sollte das auch jetzt nicht tun. Es ist ein Sportfest, auf das sich unser ganzes Land vorbereitet und gefreut hat. Die Steuerzahler haben es finanziert, die Bauarbeiter gebaut. Wenn der Gastgeber den Tisch gedeckt hat und man sich zum Fest begeben muss, wäre es falsch, etwas Negatives zu sagen.

Sie kennen Frau Timoschenko schon sehr lange. Haben Sie Mitleid mit ihr, weil sie jetzt im Gefängnis sitzt?
Ja, natürlich habe ich Mitleid mit Julia Timoschenko, als Mensch. Aber es ist nicht nur Mitleid. Ich wünsche ihr, dass sie so schnell wie möglich diese Verfahren hinter sich bringt und das Gericht eine faire Entscheidung trifft.


Sitzt Julia Timoschenko aus politischen Gründen im Gefängnis?

Es gibt keinen Politiker in der ganzen Welt, der in so viele Strafsachen verwickelt war wie Julia Timoschenko. Deswegen ist es jetzt wichtig, diesen Fall juristisch zu klären. Es ist auch kein Zufall, dass wir nun einen ausländischen Gutachter, Skadden aus den USA (eine große US-Anwaltssozietät, Anm. d. Redaktion), beauftragt haben, in diesem Fall eine unabhängige Rechtsexpertise abzugeben und zu veröffentlichen. Wir unterstützen auch die Initiative des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, eine unabhängige Untersuchung des Falls unter dem Vorsitz des früheren polnischen Präsidenten Alexander Kwasniewski und des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments Pat Cox einzusetzen (…).
Wir wissen aber auch von den Defiziten in unserem Justizsystem.  Da ist vor allem die veraltete, noch aus Sowjetzeiten stammende Strafprozessordnung. Wir haben sie bereits geändert, die neue Strafprozessordnung tritt im November 2012 in Kraft. Experten des Europarats haben bewertet, dass sie gut ist und den europäischen Standards entspricht. Wir stimmen den Forderungen zu, die die Bundesrepublik und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestellt haben, dass für die Behandlung von Frau Timoschenko entsprechende Verhältnisse geschaffen werden müssen. Und wir haben gemeinsam mit Deutschland an der Lösung gearbeitet. Die deutschen Ärzte, die nun gemeinsam mit den ukrainischen Ärzten an der Behandlung teilnehmen, gewährleisten auch die gewünschte Transparenz.

Könnten Sie sich vorstellen, sie nach einem Urteil schnell zu begnadigen, ihr die weitere Strafe zu erlassen? 
Wenn das Strafverfahren endet, wird diese Frage vor mir stehen, wie es weitergeht. Ich werde die Möglichkeit suchen, einen Schritt der Humanität zu gehen.

Die Affäre hat von der Ukraine einen hohen politischen Preis gefordert. Das von vielen Ukrainern erhoffte Assoziierungsabkommen mit der EU, das mehr Handels- und Reise erleichterungen bringen könnte, liegt auf Eis …
Es tut uns sehr leid, dass es bei der weiteren Entwicklung guter Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU so eine unerwünschte Pause gibt. Ich wünsche mir, dass das Gerichtsverfahren gegen Julia Timoschenko so schnell wie möglich vorbei ist und es klar wird, dass es sich um eine rein juristische und keine politische Angelegenheit handelt.

Sie haben selbst einen größeren Teil Ihres Lebens in der Sowjetunion verbracht. Wie haben Sie das kommunistische Regime erlebt, welche Erinnerungen haben Sie daran?
Das ist eben unsere Geschichte. So sollten wir das betrachten. Die Sowjetunion kannte außerdem  verschiedene Zeiten. Wie auch immer es war: Auf jeden Fall gibt es seit dem Ende der Sowjetunion eine unabhängige Ukraine, und eine ganze Generation ist inzwischen in einem freien Staat aufgewachsen. Das ist sehr wichtig für unseren Staat, wo die Menschen von alters her davon geträumt haben, in einem unabhängigen und freien Land zu leben. Meine Kinder und Enkel wachsen oder wuchsen in einem freien, unabhängigen Land auf. Wenn ich sie frage, sagen sie mir, dass sie diesen Wandel, diese Reformen sehr begrüßen. Unser Land bietet viele Perspektiven für junge Menschen, und es ist wichtig, dass junge Leute davon in Zukunft noch mehr profitieren werden.

Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte aber, die Ukraine sei gar kein freies Land. Sondern eine Diktatur . . .
Politiker können unterschiedliche Bewertungen äußern, das gehört zum politischen Prozess. Wir müssen diesen Bewertungen aufmerksam zuhören. Unser Ziel ist es, eine starke und demokratische Ukraine zu bauen. Die Ukraine soll ein sozialer Staat sein, in dem Menschenrechte akzeptiert werden, in dem Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit gelten. Wir arbeiten daran und treffen viele Entscheidungen in diese Richtung. Aber natürlich gibt es noch negative Dinge, deren Ursachen in der Vergangenheit liegen und die wir lösen müssen. In Zukunft sehen wir die Ukraine als einen freien, demokratischen und unabhängigen Staat.

Aber man spürt doch die Defizite. Haben Sie hier zum Beispiel wirklich eine freie Presse und eine unabhängige Justiz?
Ich glaube, dass die Presse in der Ukraine frei ist. Hier findet keine Zensur statt. Es gibt Einzelfälle, die passieren manchmal, aber die gibt es nicht nur in der Ukraine, sondern auch in der ganzen Welt. Insgesamt ändert sich die Ukraine – und sie ändert sich zum Besten.

Seit Sie mit der EU solche Probleme haben, scheinen Sie eine engere Beziehung zu Russland anzustreben. Und das ist nicht gerade eine Demokratie. Der russische Präsident Putin steht wegen Wahlfälschung, Zensur und politischer Verfolgung seiner Gegner am Pranger. Ist das der richtige Partner für Sie?

Zu allererst sind die Ukraine und Russland strategische Partner, vor allem bei den wirtschaftlichen Beziehungen. Der ukrainische Warenumsatz mit Russland und den Staaten der Zollunion beträgt jährlich 29 beziehungsweise 38 Milliarden US-Dollar. Unser Warenumsatz mit den europäischen Staaten beläuft sich auf  26 Milliarden US-Dollar. Die Tatsache, dass Russland eine Monopolstellung bei der Lieferung von Erdgas in die Ukraine hat, prägt im Wesentlichen die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine. Viele Unternehmen beider Länder arbeiten eng zusammen und investieren in das jeweils andere Land. Es ist für uns deshalb sehr wichtig, dass Russland sich erfolgreich entwickelt.  Je besser es Russland geht, desto besser für uns. Und auch je besser es der EU geht, desto besser für uns. Die Ukraine ist eine wichtige Brücke zwischen Russland und der EU. Das Volk hat ein Recht auf freie und unverfälschte Wahlen. Die Meinung des Wählers ist das Hauptkriterium für alle Politiker. Wir können einen Politiker gern haben oder nicht, wir können von ihm denken, was wir wollen, aber wenn er vom Volk gewählt wird, müssen wir den Standpunkt der Wähler respektieren.

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