SUPERillu-Politikchef Gerald Praschl reiste nach Kasachstan und schreibt hier über die nach Russland flächenmäßig größte ehemalige Sowjetrepublik, die heute, anders als Putins Russland, die EU vor allem als Partner sieht
Ein demokratisches Musterländchen ist Kasachstan nicht, im Gegenteil. Seit 25 Jahren regiert dort Nursultan Nasarbajew, 75, genau wie Putin im benachbarten Russland, wie ein absolutistischer Fürst, wenn auch als „gewählter“ Präsident.Anders als Putin pflegt Nasarbajew mit dem Westen aber ein entspanntes Verhältnis, besonders auch mit Deutschland. 2012 schlossen Nasarbajew und Angela Merkel ein Rohstoff- und Investitionsabkommen. Kasachstan liefert demnach Deutschland viele dort vorkommende Rohstoffe, vor allem die im Hightech-Bereich begehrten „Seltenen Erden“. Im Gegenzug investieren deutsche Firmen, darunter Siemens, in den Ausbau des Landes zu einem Industrieland. Am 21. Dezember 2015 unterzeichnet Kasachstan nun ein umfangreiches Abkommen über „strategische Partnerschaft und Kooperation“ mit der EU. Inhalt unter anderem: Finanz- und Zollsystem sollen angeglichen, der Handel damit angekurbelt werden.
Der Vertrag, von dem es heißt, dass er mit Russland nicht abgestimmt sei, dürfte Moskau alarmieren: Ein ähnliches – allerdings umfangreicheres – „Assoziierungsabkommen“ zwischen der Ukraine und der EU hatte 2013 die Ukraine-Krise ausgelöst. „Die EU ist neben Russland und China unser wichtigster Partner bei der Modernisierung unseres Landes“, sagt mir Albert Rau, 55, Vizeminister für Infrastruktur und neue Technologien, bei unserem Gespräch, das wir in deutscher Sprache führen. Ja, Rau. Ein Deutscher. Die meisten ethnischen Deutschen in Kasachstan sind Nachfahren von Deutschen, die Stalin einst von der Wolga hierher deportierte. Kasachstan hat auch noch einen stellvertretenden Generalstaatsanwalt, der Johann Merkel heißt.
Die ältere Vergangenheit des Landes ist voll großer Geschichte. Einst war Kasachstan Teil des Mongolenreichs von Dschingis Khan. Die jüngere Geschichte ist dagegen geprägt von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Der kommunistische Sowjetführer Josef Stalin ließ Millionen Menschen nach Kasachstan deportierten, darunter auch die Wolgadeutschen. Viele verhungerten oder erfroren. Auch eine Million Kasachen fielen dem Sowjetterror, besonders während der Zwangskollektivierung in den 30er-Jahren, zum Opfer.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde Kasachstan unabhängig. Die Sowjetstrukturen wirkten aber weiter. Das einstige KPdSU-Politbüromitglied Nasarbajew übernahm als Präsident die Macht. Große Teile der Wirtschaft sind bis heute in staatlichen Händen. Veraltete Industrien, kaputte Infrastruktur, wirtschaftliche Not – das Land übernahm nach 1991 dasselbe schwere Sowjeterbe wie alle anderen 14 Ex-Sowjetrepubliken und ihre „sozialistischen Bruderländer“ in Europa.
Die Wende kam mit dem stark steigenden Ölpreis – er hat das Land mit seinen großen Öl- und Gasvorkommen reich ge-macht. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 13 000 US-Dollar pro Kopf, vergleichbar mit dem EU-Land Polen. Sichtbares Zeichen dieses neuen Wohlstands ist die neue Hauptstadt, die Nasarbajew in die nordkasachische Steppe bauen ließ. Sowjetrelikte sucht man in Astana vergeblich. Alles ist neu, glitzernd, hell erleuchtet. Angeblich nahmen sich Nasarbajews Architekten unter anderem den Potsdamer Platz in Berlin als Vorbild. 2017 lädt Kasachstan zur Weltausstellung nach Astana. Im Mittelpunkt der Expo wird ein gläserner Globus stehen, in dessen Ausstellungsräumen es vor allem um regenerative Energien gehen soll. Die Energiewende ist auch im Öl- und Gasland Kasachstan ein großes Thema und soll der Schwerpunkt der „EXPO-2017“ sein. Ab 2016 ist Kasachstan Mitglied der Welthandelsorganisation, will bis 2020 große Teile der Staatswirtschaft privatisieren. Ebenfalls bis 2020 wird ein 4 500 Kilometer langes neues Autobahnnetz entstehen, an dem auch deutsche Firmen mitbauen.
Mit Russland ist Kasachstan wirtschaftlich eng verbunden. Öl- und Gasexporte laufen über russisches Gebiet, das Land ist Mitglied der Eurasischen Zollunion, die neuen Einkaufszentren von Astana sind voll mit russischen Waren, die zollfrei über die russisch-kasachische Landgrenze (mit 6 846 Kilometern die längste der Welt) eingeführt werden.
Es gibt aber einen großen Unterschied: Während sich der große Nachbar Russland in einem neuen Kalten Krieg wähnt, russische TV-Medien den Westen kritisieren und Putin Hunderte Milliarden Euro in neue Rüstungstechnik investiert, mit der er neuerdings auch in Nahost Krieg führt, fährt Kasachstan einen höchst friedfertigen Kurs des Ausgleichs mit all seinen Nachbarn, ob China, Russland oder eben mit der EU. „Wir wollen friedlich und gemeinsam mit unseren Nachbarn unser Land so weiterentwickeln, dass es auch ohne Öl in Wohlstand leben kann“, sagt Vizeminister Rau.
Ein Beispiel dafür, wie man es auch machen könnte.