Bärbel Bohley 1945-2010

Bärbel Bohley, portraitiert von Nikola Kuzmanic, 2004
Bärbel Bohley, portraitiert von Nikola Kuzmanic, 2004

Die 65-Jährige ist nach längerer Krankheit einem Krebsleiden erlegen.Ich kannte sie sehr gut, über viele Jahre waren wir Freunde. Sie drängte sich nicht gerne ins Rampenlicht. Und deshalb zierte sie sich auch, als ich im Sommer vor sechs Jahren, 2004, zu ihr nach Kroatien kam, um sie davon zu überzeugen, unseren Medienpreis Goldene Henne vor laufender TV-Kamera im Friedrichstadtpalast entgegenzunehmen. Ich konnte sie dann doch überreden.

Sie wäre sicher auch eine gute Bundespräsidentin geworden und vielleicht hätten sich die Deutschen in sie genauso verliebt wie im Sommer 2010 in Fast-Bundespräsident Joachim Gauck. Aber zu einer Politikerin fehlte ihr das Macht-Gen. Sie strebte nie nach einem politischen Amt für sich persönlich. Sie hatte deswegen auch nie eins.

Trotzdem wurde sie berühmt. Als »Mutter der Revolution« von 1989. Sie wurde von den Montagsdemonstranten als Heldin gefeiert, weil sie es gewagt hatte, gemeinsam mit 28 Mitstreitern eine Oppositionsgruppe gegen die SED zu gründen. Das »Neue Forum« forderte von SED-Chef Erich Honecker »Dialog«. Es war aber auch klar, dass es nicht nur darum ging, mit den SED-Machthabern zu reden. Sondern um viel mehr: Um freie Wahlen, einen Rechtsstaat, Reise-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Um diese fundamentalen Bürgerrechte, die der Unrechtsstaat DDR den Ostdeutschen bis 1989 verweigerte, hat Bärbel Bohley mutig gekämpft.

Wie sie zur »Mutter der Revolution« wurde

Dabei konnte sie in ihrer Jugend dem »Sozialismus« durchaus noch Positives abgewinnen. Wie nicht wenige Ostdeutsche hoffte sie, mit dem Mauerbau 1961 werde sich der neue Staat DDR endlich stabilisieren. »Ich wollte damals glauben, dass die Mauer notwendig sei, um den Sozialismus aufzubauen.«, hat sie 2005 geschrieben. Das war in dem Buch »Mut-Frauen in der DDR«, zu dem ich sie vor fünf Jahren überredete. Ich wollte, dass sie darin endlich ihre Lebensgeschichte aufschreibt. Sie meinte, dass hätte noch Zeit. Und ich meinte, man könne nicht wissen, ob noch viel Zeit sei. Ich habe leider recht behalten. Im Mai 2008 bekam sie die Krebsdiagnose. Der Arzt gab ihr sechs Wochen. Sie hat gekämpft und immerhin wurden es noch zweieinhalb Jahre.
Bärbel Bohleys Zweifel am Regime wuchsen in den 60er Jahren, als sie merkte, dass die Mauer nur dazu da war, die SED an der Macht zu halten. Ihre Hoffnung auf einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zerschlug sich endgültig 1968, als sowjetische Truppen den »Prager Frühling« niederwalzten. Danach schmiss sie ihren sicheren Job als Industriekaufmann bei einem VEB und begann ein Studium der Malerei. Sie suchte damit ein Leben in einer möglichst staatsfernen Nische, um sich nicht zu sehr verbiegen zu müssen.

»Ihr Sohn muss dann wohl ohne seine Mutter aufwachsen«, drohte die Stasi

Ihre Wut auf das System wuchs in den 70er Jahren, als sie als junge Mutter Mitte der 70er Jahre erlebte, wie die SED selbst schon Kleinkinder »auf Linie« zu trimmen suchte. Ihren 1970 geborenen Sohn Anselm schickte sie in einen kirchlichen Kindergarten und verbot ihm später, den Pionieren beizutreten. Unmerklich wuchs aber auch ihr Mut zum Protest. 1982 sammelt sie Unterschriften gegen den Plan der SED-Führung, im Krisenfall auch Frauen zum Wehrdienst einzuziehen. Aus diesem Protest entwickelt sich die ersten organisierte Oppositionsgruppe, die „Frauen für den Frieden«. Spätestens seitdem ist Bärbel Bohley natürlich im Visier der DDR-Staatssicherheit. 1983 wird sie verhaftet, kommt in die berüchtigte Stasi-Haft nach Berlin-Hohenschönhausen. Da sitzt ein zackiger Stasi-Vernehmer und droht ihr an, wenn sie nicht rede, werde sie zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ihr damals 13jähriger Sohn müsse dann wohl alleine aufwachsen. Da antwortet sie: »Gut, zwölf Jahre. Aber ich komme hier wieder raus, Sie nie!« Sie trifft wohl ins Schwarze, denn der Stasi-Mann reagiert verblüfft. „Die Mitarbeiter des gewaltigen Staatssicherheitsapparats haben nicht nur uns zerstören wollen, sie sind auch selbst als Menschen zerstört worden. Auch sie wollten erlöst sein, denn nur so lässt es sich erklären, dass sie 1989 so schnell aufgegeben haben“, schreibt sie 2005. Bärbel Bohley muss keine zwölf Jahre ins Gefängnis. Auf Druck des Westens wird sie nach sechs Wochen entlassen.Bis zum Mauerfall wird sie von Spitzeln überwacht. Ihre Wohnung wird abgehört, gegenüber schieben Stasi-Überwachungsteams in einem Bauwagen Schicht-Dienst. Sie überziehen Bärbel Bohley und ihre Mitstreiter mit »Zersetzungsmaßnahmen« aller Art: Behörden-Schikanen, Wohnungseinbrüche, Spitzel im Freundeskreis. Und berufliches Mobbing, dass dazu führt, dass viele Bürgerrechtler am Existenzminimum leben müssen.

Wie viele Bürgerrechtler schmerzt es sie, als im Sommer 1989 zehntausende junge Leute über Ungarn, die CSSR und Polen in den Westen fliehen. In der Nacht zum 11. September 1989 geht in Ungarn die Grenze auf. Es ist zufällig der selbe Tag, an dem Bärbel Bohley die Zulassung des »Neuen Forum« beantragt. Ihr Programm ist klar: „Bleibe im Lande und wehre dich täglich«. Nur ein paar Monate, zwischen dem Fall der Mauer im November 1989 und den Volkskammerwahlen im März 1990 können sie und die anderen Bürgerrechtler vom »Runden Tisch« große Pläne für die Zukunft der DDR schmieden. Pläne, von denen die meisten nicht in Erfüllung gehen. Anders als die Menschen in Polen, Tschechien oder Ungarn wählen die Ostdeutschen 1990 nicht Bürgerrechtler wie Lech Walesa oder Vaclav Havel zu Präsidenten. Sondern entscheiden sich in einer freien Wahl im März 1990 lieber für die Parteien, die eine schnelle Wiedervereinigung mit dem Westen versprechen, weil ihnen das sicherer erscheint als neue Experimente.

Wie sie über die deutsche Einheit dachte

Viele DDR-Bürgerrechtler hat das damals verbittert und sie brauchten lange, um ihren Frieden mit dem wiedervereinten Deutschland zu machen. Bärbel Bohley litt darunter eher weniger, auch wenn ihr das immer unterstellt wurde. Sie hat sie sich sehr über die deutsche Einheit gefreut. Und in den freien Wahlen 1990 sah sie die Erfüllung ihres Lebenswerks.

Was sie wütend machte, war etwas anderes. Nämlich dass die meisten Täter, die das Unrecht zur DDR-Zeit angerichtet haben, fast oder völlig straffrei davon kamen. Die Wut steigert sich damals, als sie von PDS-Frontmann Gregor Gysi vor Gericht gezerrt wird. Gysi hatte Bärbel Bohley zur DDR-Zeit als Anwalt vertreten und nach der Lektüre ihrer Stasi-Akten 1992 kommt sie zu dem Ergebnis, Gysi sei ein »IM«, ein Stasi-Spitzel, gewesen. Gregor Gysi bestreitet das bis heute. Und verklagt sie. Gegen den ebenso cleveren wie zahlungskräftigen Anwalt hat sie wenig Chancen. Nach zwei Instanzen muss sie aufgeben. Die Gerichts- und Anwaltskosten haben sie da schon fast in den Ruin getrieben. »Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat«, sagt sie frustriert.

Warum sie damals nach Bosnien ging

Anderswo findet sie neuen Mut. Sie geht nach Bosnien und findet dort eine neue Lebensaufgabe darin, den Menschen zu helfen, die der Krieg dort obdachlos gemacht hat. In dieser Zeit habe ich sie persönlich kennengelernt. Ich kenne Bosnien gut, denn ich war als Reporter im Bosnienkrieg unterwegs. Und habe erlebt, wie dort hunderttausende Unschuldige von kriminellen Warlords ermordet wurden, ohne dass der Westen eingriffen hat. Diese Tatenlosigkeit und die Naivität westlicher »Pazifisten« hat mich damals genauso empört wie Bärbel Bohley. »Deshalb glaube ich nicht mehr an eine pazifistische Politik«, meinte die einstige Gründerin der »Frauen für den Frieden« seitdem. Notfalls müssten die Menschenrechte auch mit Waffen verteidigt und zur Geltung gebracht werden. Ich sehe das genauso und Bärbel Bohley und ich wurden vielleicht auch deshalb Freunde, als ich sie Ende der 90er Jahre zum ersten Mal dort besuchte. Die Hilfsorganisation Seestern e.V., die sie und ihr Mann, der Lehrer Dragan Lukic aus Sarajevo, aufbauten, verhalf tausenden Familien zu einem neuen Dach über dem Kopf.

An sich selbst dachte sie dabei wie immer zuletzt. Gerne hätte ich in der SUPERillu einmal die skandalöse Geschichte erzählt, dass die »Mutter der Revolution« zuletzt von einer äußerst kleinen Rente leben musste, während es viele Stasi- und SED-Funktionäre heute im Ruhestand recht komfortabel haben. Aber das wollte sie nicht. „Wir haben das damals doch nicht wegen des Geldes gemacht“, meinte sie.
Am 11. September 2010 ist sie 65jährig ihrem Krebsleiden erlegen.

erschienen in SUPERillu 38/2010 am 16. September 2010