Erich Loest und sein Leipzig

Gespräch mit Erich Loest, Leipzig 2006. Foto Yorck Maecke.
Gerald Praschl im Gespräch mit Erich Loest in seiner Wohnung in Leipzig. Foto Yorck Maecke.

Der Schriftsteller Erich Loest und seine Stadt: Zweimal musste er sie verlassen: Als er in Bautzen eingesperrt wurde und als er frustriert der DDR den Rücken kehrte. Nun ist er wieder da, in der Stadt, der er mit seinen Werken ein Denkmal setzte. Ein Treffen mit ihm im Jahr 2000.

Auf seinem Rundgang durch Leipzig bleibt Erich Loest (74) lange vor der Bronze- Skulptur in der Grimmaischen Straße stehen. „Der Jahrhundert-Schritt“ heißt das Werk von Wolfgang Mattheuer. Eine Figur ohne Kopf. Die linke Hand zur Arbeiterfaust der Kommunisten geballt, die rechte zum Hitlergruß erhoben. Kopflos vorwärts marschierend, in den Abgrund. Die Skulptur verkörpert auch ein Stück seines Lebens. In seiner Jugend war Loest begeisterter Hitlerjunge. Später, in den 50ern, ein ebenso begeisterter SED-Sozialist. „Ein doppelt Verführter“, bekennt Loest.

Wir gehen hinunter in „Auerbachs Keller“, wo Loest gern gesehener Stammgast ist. Wirt Ulrich Reinhardt (42) deckt gleich auf, Quarkkeulchen, ein Gläschen Freyburger Portugieser. Die Rast hat er sich verdient. Den ganzen Tag schon ist Loest mit den SUPER ILLU-Reportern unterwegs zu „seinen“ Plätzen in Leipzig. Dazu musste er die vielen Stufen hochsteigen auf die Empore der Nikolaikirche.

Im Herbst 1989 saß er im Westen, durfte nicht einreisen. Erst im Dezember 1989 ließen ihn die Behörden wieder in die DDR. Aber später, 1994, hat er über die friedliche Revolution einen berühmten Roman geschrieben, der dann verfilmt wurde: Nikolaikirche.

Viele Orte, die Loest mit Leipzig verbinden, sind verschwunden. Der alte Stasi-Knast, wo er 1957 in U-Haft saß, ist abgerissen. Auch die Redaktion der Leipziger Neuesten Nachrichten, in der er bis 1950 arbeitete. Hier steht jetzt das neue Verlagshaus der Leipziger Volkszeitung aus Glas und Stahl. Ins Reichsgericht kommen wir erst gar nicht rein. Alles Baustelle. Nur draußen am Völkerschlachtdenkmal hat sich nichts verändert. Loest setzt sich auf eine Parkbank und deutet zum Südfriedhof: „Für den alten Loest ist da sicher noch ein Plätzchen frei.“

Am Augustusplatz erzählt er vom 30. Mai 1968, als hier die Paulinerkirche gesprengt wurde, weil sie der sozialistischen Architektur der neuen Zeit im Wege stand. In seinem Buch „Völkerschlachtdenkmal“ schrieb er von diesem Tag: „Ich spürte das Vibrieren, bevor ich den Knall hörte. Das Beben lief durch die Erde und die Mauern hinauf. In einem Stockwerk über mir begann ein Mann zu singen: Eine feste Burg ist unser Gott. Durch den Spalt zwischen den Glasziegelschichten wehte Steinstaub.“

Steinstaub weht auch heute über den Augustusplatz. Überall wird gebaut. Gerne schlendert Loest vorbei an den neuen schicken Läden und Cafés in Specks Hof oder den Mädlerpassagen, wo er sich zu einem Kaffee niederläßt. „Was seit der Wende hier wieder hergerichtet wurde, ist schon ungeheuer. Der Hauptbahnhof oder die neue Messe. Noch ein paar Jahre länger und hier wäre nichts mehr zu retten gewesen.“

Seine Bonner Zweitwohnung hat Loest vor 2 Jahren aufgegeben, ist nun ganz in Leipzig zurück. Ende eines langen Weges von Bautzen über Bonn nach Hause. „Wie schön, dass nun alles vorbei ist“, schrieb er.