Oktober 2009. Ein „stilles Jubiläum“. SUPERillu feiert nicht nur 20 Jahre friedliche Revolution in Ostdeutschland. Sondern auch die tausendste Ausgabe. Die letzten Zeilen für die tausendste Ausgabe von SUPERillu habe ich gerade vor einigen Stunden ins System getippt. Ein Text über die bewegende Feier zum 20sten Jahrestag der berühmten Leipziger Montagsdemo, die damals als „Tag der Entscheidung« in die Geschichte einging. Die Menschen demonstrierten damals für ein offenes Land, für die Freiheit. Für die Reisefreiheit. Und auch für die Meinungs- und Pressefreiheit. Ohne die Montagsdemos und die friedliche Revolution von 1989 in der DDR würde es keine SUPERillu geben. Wie es damals anfing, lesen Sie hier.
»Für ein offenes Land mit freien Menschen«, stand auf dem ersten Plakat, auf der ersten Leipziger Montagsdemo, am 4. September 1989. Zwei junge Frauen, Gesine Oltmanns und Katrin Hattenhauer hatten nur wenige Sekunden, um es in die Kameras der West-Presse zu halten, bevor Staatssicherheitsleute es ihnen entrissen. Aber diese Sekunden reichten, die Bilder gingen um die Welt.
Noch mehrmals in diesem Schicksalsherbst 1989 wurden die Journalisten, vor allem natürlich die Kollegen vom »West-Fernsehen«, von Chronisten zu Hauptakteuren. Zum Beispiel, als die ostdeutschen Bürgerrechtler Siegbert Schefke und Aram Radomski es schafften, Fernsehbilder vom „Tag der Entscheidung“, der Leipziger Montagsdemo vom 9. Oktober 1989, zu drehen und diese Bilder, ausgestrahlt schon tags darauf in der ARD, hunderttausenden DDR-Bürger Mut machten, auch auf die Straße zu gehen. Vom 9. November 1989 ganz zu schweigen, von dem man heute weiß, dass die Pressemeldung vom angeblichen Mauerfall zur selbsterfüllenden Prophezeiung wurde.
Das hat mal wieder gezeigt, dass freie Medien ganz schön viel bewegen können. Nicht nur für die Reise- und Meinungsfreiheit, sondern eben auch für die für uns Journalisten so wichtige Pressefreiheit haben die Montagsdemonstranten damals gekämpft. Mir selbst, 1968 im »Westen« geboren, waren diese Freiheiten lange Zeit eine völlige Selbstverständlichkeit. Dass sie das eben nicht sind, habe ich als typischer Vertreter der westdeutschen „Nutella-Generation“ erst reflektiert, als ich im Spätherbst 1989 als junger Journalist zum ersten Mal in den Osten Deutschlands kam, wo die Menschen gerade um diese Freiheiten gekämpft hatten.
Als wir im Frühjahr 1990 in einer improvisierten Redaktion in einigen Zimmern des längst abgerissenen Ost-Berliner Palasthotels anfingen, uns Gedanken darüber zu machen, was in der neuen Superillu drin stehen soll, war die von den Montagsdemonstranten errungene Freiheit gerade mal ein halbes Jahr alt. Für mich und andere Kollegen, die damals aus Westdeutschland kamen, war der „wilde“ Osten genauso aufregend, wie für meine neuen ostdeutschen Kollegen der Westen, der gerade über sie hereinbrach.
Einige waren selbst Verfolgte des SED-Regimes gewesen. Andere hatten noch wenige Monate zuvor in den Redaktionen der SED-Zeitungen gearbeitet, für die „West-Verlage“ wie Burda oder Springer die „Feindpresse“ waren, „Kampforgane des Klassenfeindes“. Geglaubt hat diese hohle SED-Propaganda sicher kaum ein Journalisten-Kollege, im Regelfall noch nicht mal die, die sie selbst zu Papier brachten. Und auch sicher kaum einer der Leser dieser Blätter. Aber eine gewisse Distanz und ein gewisses Misstrauen zwischen uns war spürbar. Da fiel, nach 28 Jahren Mauer und 40 Jahren deutscher Teilung, schnell auf, wie wenig wir eigentlich voneinander wussten.
„Aufregend frei“, war der Claim der ersten Superillu-Ausgabe, die in den letzten Wochen der DDR erschien. Die erste Ausgabe lag am Morgen des 23. August 1990 am Kiosk. Wenige Stunden zuvor, nachts um drei, hatte die DDR-Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschlossen.
Aufregend abenteuerlich waren die Produktionsbedingungen. Nach den ersten Wochen, in denen die Redaktionskonferenzen in engen Hotelzimmern stattgefunden hatten, waren wir heilfroh, im Gebäude der einst linientreuen DDR-Presseagentur ADN einige freigewordene Büroräume ergattert zu haben. Aus denen wehte der Eishauch der Geschichte. Hier saßen noch ein dreiviertel Jahr zuvor die „Betriebsparteiorganisation“ der SED und Stasi-Leute, die sich mit der Überwachung der Kollegen einige Stockwerke tiefer beschäftigt hatten.
Die ersten SUPERillu-Hefte war damals 70 Seiten dick, kosteten eine Mark. Was stand drin? Durchaus kritischer, harter Journalismus. Schlagzeilen aus einer Dezemberausgabe 1990: „Alte Seilschaften in Ost-Betrieben – Warum ist unser neuer Chef immer noch der alte?“ „Sühne für den Stasi-Doppelmord“, „Braunkohlebagger – Lasst unser Dorf weiterleben!“ Aber auch handfeste Erotik, in den drögen von der Parteilinie bestimmten DDR-Medien 40 Jahre ein Tabu-Thema: „So mache ich ihm wieder Lust auf Liebe.“ Aufregend frei eben. Und aufregend erfolgreich. Von der ersten Ausgabe an war SUPERillu die meist verkaufte Zeitschrift im Osten.
Die Erotik wird man heute in SUPERillu vergeblich suchen. Aber an vielen Punkten zählt auch heute noch das Erfolgsrezept von 1990. Kritischer Journalismus, Alltagsreportagen auf Augenhöhe. Ein umfangreicher Ratgeberteil, der unseren Lesern Lebenshilfe bietet. Auch Stars, bewusst auch mit einer Betonung auf Stars, die aus Ostdeutschland stammen, spielen heute eine wichtige Rolle. Nicht wenige dieser vermeintlichen „Oststars“ schafften übrigens ihren gesamtdeutschen Durchbruch.
Mir und vielen meiner Redaktionskollegen war es dabei auch immer wichtig, Berichten über die dunkelsten Seiten der DDR-Vergangenheit viel Raum einzuräumen. Es ist ein quälendes Thema, über das wir aber trotzdem dringend reden müssen. Auch heute, 20 Jahre später. Besonders quälend waren natürlich Diskussionen über die Stasi-Vergangenheit. Dass hieß für uns zum Beispiel, auf der einen Seite auch mit Hilfe der Stasi-Akten aufzuklären, welche Politiker, Journalisten oder sonstige gesellschaftlich relevante Menschen einst für die DDR-Staatssicherheit gespitzelt haben. Andererseits genau jenen, denen solche Vorwürfe gemacht werden, ein faires und offenes Gesprächsangebot zu machen. Ein Forum für eine offene Diskussion in oft unklarer »Gefechtslage« zu sein, das war und ist hier unser Bemühen.
Offene, lange Diskussionen führte ich sogar mit jenen, die für die SED-Diktatur maßgeblich verantwortlich waren. Mit Ex-SED-Chef Egon Krenz zum Beispiel, Stasi-General Schwanitz und anderen hohen Stasi-Offizieren. Bei den meisten hatte ich den Eindruck, dass sie im Stillen durchaus nachdenklich sind. Sich aber sehr schwer tun, öffentlich für etwas um Verzeihung zu bitten. Oder gar zuzugeben, dass es sogar ihnen, den einst Privilegierten, heute mit (West-) Rente, Meinung- und Reisefreiheit viel besser geht als früher. Das kann dann schon mal wütend machen.
Bewegend waren dagegen für mich immer wieder die Begegnungen mit den Ostdeutschen, die mit ihrem Mut und ihrer Zivilcourage mit dem verlogenen, kriminellen und maroden SED-Staat 1989 Schluss gemacht haben. Bürgerrechtler, Montagsdemonstranten, Runde-Tisch-Aktivisten oder Stasidienststellen-Stürmer. Wie mutig waren sie, wenn ich mir auf der anderen Seite überlege, dass ich im selben Herbst 1989 als Westler schon bibberte, wenn mich einer dieser zackig-unfreundlichen DDR-Grenzer in Rudolphstein mal herauswinkte? Obwohl ich nicht, wie ein DDR-„Bürger“, dem Stasi-Apparat rechtlos ausgeliefert war, sondern einen dicken West-Pass in der Tasche hatte, der mich vor diesen Leuten schützte?
Ganz bewusst hat sich Superillu auch auf die Fahnen geschrieben, darüber zu berichten, was sich dank der gemeinsamen Anstrengung von Ost und West in 20 Jahren deutscher Einheit positiv entwickelt hat. Über große Erfolge, zum Beispiel von Unternehmern, aber auch über die kleinen Träume, die sich für viele Menschen aufgrund ihrer eigenen Leistung, aber auch dank der nach dem Ende des Sozialismus endlich viel besseren Rahmenbedingungen erfüllt haben. Auch gute Nachrichten sind Nachrichten. Was daran »Ostalgie« sein soll, weiß ich nicht. Oder ist es »Ostalgie«, aus den östlichen Bundesländern nicht nur im Zusammenhang mit vorhandenen oder auch manchmal übertrieben dramatisch dargestellten Problemen zu berichten?
Alles in allem, und das kann niemandem entgehen, hat der wirtschaftliche Neuanfang funktioniert, und die »blühenden Landschaften« tragen trotz aller Miesmache längst viele große Früchte. Eine Leistung, auf die vor allem die Ostdeutschen stolz sein können, denn sie hatten einen Großteil der Belastungen aus 40 Jahren deutscher Teilung und aus zwanzig turbulenten und zum Teil sehr schweren Wiederaufbaujahren zu tragen. Ein selbst erarbeiteter Wohlstand, der zusammen mit dem Stolz auf die selbsterkämpfte Freiheit vielen Ostdeutschen auch endlich wieder das Selbstbewusstsein gegeben hat, dass für eine Begegnung und ein Zusammenwachsen »auf Augenhöhe« mit dem Westen so unentbehrlich ist. Es wäre schön, wenn das langsam auch im Westen auffiele.