Bärbel Bohley: Ihr Hilfsprojekt in Bosnien

Wasser für die Armen: Die Wende-Heldin von 1989 schafft nun  ein neues Zuhause für Kriegsflüchtlinge in Bosnien-Herzegowina. Der Gegner ist nicht, wie 1989, eine Diktatur. Es geht auch nicht um das Ringen um Anerkennung für die Menschen, die zur DDR-Zeit politisch verfolgt waren. Den dritten großen Kampf in ihrem Leben ficht Bärbel Bohley dafür, dass Kriegsflüchtlinge ein neues Zuhause bekommen.

Die Gestrandeten

Obwohl der Balkan-Krieg schon 10 Jahre her ist, leben in Bosnien-Herzegowina immer noch Zehntausende in Flüchtlingslagern, in Hütten aus Brettern und Wellblech. Oft plagen sie schreckliche Erinnerungen: ermordete Angehörige, Vergewaltigungen, Flucht. Viele der Gestrandeten hausen in Lagern nahe der Stadt Mostar. In der Nähe sollen sie angesiedelt werden, was gar nicht so einfach ist. Jede Familie bekam zwar ein Stück Land. Ein Haus aber muss sie selbst bauen. Kredit gibt es nicht, nur Material-Spenden. Alle sind Tagelöhner oder ganz arbeitslos. Viele mauern seit Jahren, ohne dass ihr Haus bis jetzt bewohnbar ist. Das größte Problem ist die Wasserversorgung. Öffentliche Leitungen gibt es nicht. Das Grundwasser liegt in dem Karst-Gebiet 80 Meter tief. Brunnenbohren ist für die Armen viel zu teuer.

Die Hilfe

SUPERillu-Chefreporter  Gerald Praschl und SUPERillu-Fotograf Nikola Kuzmanic besuchten im Oktober 2006 Bärbel Bohley (61) vor Ort. Seit 1999 ist sie mit dem Bosnier Dragan Lukic verheiratet, lebt in der Nähe von Split in Kroatien. In den 90er-Jahren leitete sie ein Hilfsprojekt zum Wiederaufbau kriegszerstörter Häuser. Seit 1999 lädt sie jährlich 70 Kinder von Kriegsflüchtlingen zu kostenlosen Ferien ans Meer ein. Nun baut sie mit ihrem Hilfsverein »Seestern e.V.« Zisternen. Das sind Beton-Reservoirs, die im Winter Regenwasser auffangen. Das reicht zum Gießen, Duschen und Putzen. Bärbel Bohley: „Wir können so mit wenig Geld vielen Menschen helfen.“

Die Schatten des Krieges

Noch 10 Jahre nach Kriegsende leben alleine im kroatisch dominierten Teil Bosnien-Herzegowinas, nahe der Stadt Mostar, mehrere tausend Flüchtlinge in erbärmlichen Unterkünften, die, obwohl mitten in Europa, an die ärmsten Länder der „Dritten Welt“ erinnern. Im gesamten ehemaligen Kriegsgebiet von Bosnien-Herzegowina sind es mehr als 100 000 Menschen, die noch in armseligen Notunterkünften hausen. Unabhängig von der allgegenwärtigen existenziellen Not, die im ganzen Land grassiert. Im Camp Tasovcici am Stadtrand von Caplina, nahe Mostar, fahren wir in ein Lager, in dem  115 Familien, insgesamt 365 Personen in Hütten aus Wellblech und Brettern hausen, davon 70 Kinder, von denen die meisten hier geboren sind. Wir treffen Ivanka Ivankovic, die Lagerleiterin. Sie ist selbst ein Flüchtling. Als der Bürgerkrieg begann, lebte die ethnische Kroatin im etwa 100 Kilometer entfernten Ort Konjic. Seit 1992 wurde Konjic  von den ethnisch serbischen Freischärlern des heute vom UN-Kriegsverbrechertribunal gesuchten Radovan Karadzic beschossen. Das war schlimm. Aber die richtige Hölle brach aus, als im Mai 1993 der „Krieg im Krieg“, der Bürgerkrieg zwischen den vormals verbündeten Kroaten und Moslems  begann. Moslemische Einheiten umstellten die Siedlung, in der Ivankas Haus lag. Ihr Mann wurde vor seiner Haustür erschossen. Ivanka stand daneben und sah ihn sterben. Der „Krieg im Krieg“ zwischen Kroaten und Moslems in Bosnien-Herzegowina, der zwischen Mai und November 1993 tobte, gehört zu den finstersten Kapiteln dessen, was die Region jemals erlebte. Während damals weiterhin serbische Granaten sowohl auf moslemische als auch auf kroatische Städte und Dörfer fielen, mussten viele Moslems unter kroatischem Beschuss in Mostar die Höllen erdulden und gleichzeitig viele enthnische Kroaten aus ihren Städten und Dörfern in Zentralbosnien fliehen. Eine schwere Bürde für auch für die „kroatisch-moslemische“ Föderation, in den diese  zwei Volksgruppen heute nach dem Friedenschluss von Dayton 1995 zusammenleben – zusammenleben müssen.

Bosnien-Herzegowina: Ein Staat im Koma

Ivanka hat nicht nur überlebt, sie kümmert sich heute auch als Sozialarbeiterin um diejenigen, die immer noch im Flüchtlingslager leben. Sozialarbeiter ist in Bosnien-Herzegowina ein seltener Beruf.  Wer irgendwie kann, hilft sich selbst. Meist ist er ansonsten auch eher verloren, denn einen Sozialstaat wie in Deutschland gibt es nicht.  Wer konnte, hat sich inzwischen eine neue Existenz aufgebaut. Das Haus meist von der serbischen Guerilla, die den Krieg damals anfingen, oder später auch von Kroaten oder Moslems abgefackelt, Familienmitglieder umgebracht, Frauen vergewaltigt. Scharfschützen, Mörsergranaten, Massengräber, Konzentrationslager, Genozid, alle Albträume des 20. Jahrhunderts wurden in Bosnien-Herzegowina schreckliche Wirklichkeit. Heute leben viele derer, die das überstanden haben, Kroaten, Serben oder Moslems,  als Immigranten in Kanada, Deutschland, Australien, den USA oder den skandinavischen Staaten. Die anderen, die durch das Raster der Einwanderungs- oder wie im Fall Deutschlands „Duldungs-“ und „Aufenthaltsrichtlinien“ fielen, sind noch da. Ihr eigener Staat, Bosnien-Herzegowina, hilft ihnen alles in allem überhaupt nicht, neu Fuss zu fassen. Offiziell ist kein Geld da. Vielleicht liegt es aber auch eher daran,dass das Land bis heute ethnisch tief gespalten ist. Die Flüchtlinge von Mostar in ihren Wellblechhütten sind ethnisch Kroaten, auch wenn sie einen bosnischen Pass haben. Soll sich doch Kroatien um sie kümmern, mag die Meinung so manches Politikers der moslemisch dominierten Hauptstadt Sarajevo sein. Dort, im Kernland, 200 Kilometer weiter, gibt es ähnliche  Probleme. Eine große Wohnungsnot, ebenfalls Folge von Vertreibung und Zerstörung. Eine Situation, die ungefähr der entspricht, die in den Jahren nach 1945 in Mitteleuropa nach der Vertreibung der Deutschen aus dem heutigen Polen und der Vertreibung der Polen aus dem heutigen Weißrussland herrschte. Also auch nichts, was nicht auch lösbar wäre.

Das Rückkehrer-Programm und die Realität

Die Politik der nach dem Friedensabkommen von Dayton/Ohio 1995 eingesetzen internationalen Aufsichtskommission OHR (Office of the High Represantative, derzeitiger Chef der ehemalige Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling) zielt darauf ab, dass möglichst jeder Flüchtling sein Haus in seiner alten Heimat zurückerhalten sollte. Das hat nur zum Teil gefruchtet. Oft flogen den Rückkehrern nachts Handgranaten durch die Wohnzimmerfenster. Viele Flüchtlinge wollten nach dem schrecklich Erlebten auch nicht wieder dahin, wo sie herkamen. Nur in einigen Regionen konnte die „ethnische Säuberung“  teilweise rückgängig gemacht werden. Immerhin.

Die kroatischen Flüchtlinge von Mostar wollen oder können nicht nach Hause in die zentralbosnischen Städte  und Dörfer, aus denen sie kamen. Ganz allein stehen sie trotz ihrer Not nicht da. Der Nachbarstadt Kroatien fühlt sich verantwortlich und  tut einiges. Jede Flüchtlingsfamilie, die ihre Heimat in den heute moslemisch oder serbisch dominierten Teilen des Landes verlor, bekam vom Staat Kroatien Baumaterial und einige tausend Mark, um sich ein neues Haus zu bauen. Die Stadt Caplina im kroatisch dominierten Teil Bosnien-Herzegowinas und einige Nachbargemeinden gaben kostenlos Bauland ab. Da die Männer und Frauen der Familien meist arbeitslos sind und der Staat Bosnien ihnen nur etwa 100 Mark Sozialhilfe pro Familie im Monat bezahlt, verteilt die katholische Hilfsorganisation Caritas Lebensmittel an die  Flüchtlinge.

Zu Besuch bei einer Familie in Not

Die Verhältnisse, in der viele der Familien leben, die jetzt mit Bärbel Bohleys Hilfe ein neues Zuhause erhalten sollen, sind meist sehr elend. Ich besuche Familie Silic. Sie leben mit sechs Personen in einem einzigen, heruntergekommenen Zimmer in einem ehemaligen Heim für psychisch Kranke  im Dorf Domanovici. Die Fenster noch von damals vergittert. Gemeinschaftstoiletten. Der Putz bröckelt von den Wänden. Als ich vorbeischaue, ist Vater Miroslav (50) gerade noch unterwegs. Zusätzlich zu den umgerechnet 50 Euro, die die ganze Familie im Monat vom bosnischen Staat bekommt, versucht er sich, etwa dazuzuverdienen. Die katholischen Priester des nahen Wallfahrtsortes Medjugorje geben ihm hin und wieder einen Job, wenn irgendetwas anfällt. So hackt er heute dort Brennholz für den Winter. Für 20 „Konverbiblna Marka“, 10 Euro am Tag. Die staatliche Währung in Bosnien ist die alte deutsche Mark, hier“konvertiblna marka“ genannt. Nur leider fehlt der deutsche Wohlstand. Stattdessen herrscht bittere Armut, die jeden deutschen „Hartz IV“-Empfänger beschämen dürfte. Die staatliche Stütze liegt  bei etwa 100 „konvertiblna marka“ im Monat. Nicht pro Person, sondern pro Familie. Wer kann, versucht sich als Tagelöhner auf dem Bau oder bei der Ernte etwas hinzuzuverdienen. Die Jobs sind rar. Die Arbeitslosenquote hoch. 10 Euro am Tag sind dabei schon ein sehr guter Verdienst.  Leider kosten Lebensmittel  oft genausoviel wie in Deutschland.  Als Miroslav abends um acht zuhause ankommt, warten seine Frau Ljubica (50) und die vier Söhne Marko (12), Ivan (9), Marin (8) und Smilijan (17) schon sehnsüchtig auf ihn. Vor allem auf etwas zu essen. „Wir hatten seit ein oder zwei Tagen überhaupt kein Geld mehr, um etwas zu kaufen. Gottseidank kann ich mit den 20 Mark jetzt wieder ein wenig besorgen“, meint er. In der Ecke über dem Ofen hängt ein Kruzifix und die Jungfrau Maria über dem zerschlissenen Sofa. Sein christlicher Glaube und seine vier Söhne, mein Miroslav, seien das, was ihm die Kraft gebe, den Alltag zu überstehen.

Auch 1993, als die Familie noch in der zentralbosnischen Stadt Konijc lebte, war sie alles andere als wohlhabend. Doch sie hatten eine Wohnung und Vater und Mutter ihr Auskommen als Fabrikarbeiter. Sie Kantinenkraft, er Industriearbeiter, im jugoslawischen Kombinat „Igman“. Dann kam der Krieg. Mutter  Lubica und der älteste Sohn konnten fliehen. Vater Miroslav wurde von der moslemischen „Biha-Armija“ gefangengenommen. Er erzählt, er sei dort auch gefoltert worden und sieht heute, 10 Jahre später, noch aus, als sei er gestern früh dem Konzentrationslager entsprungen. Nach Monaten in Lagerhaft kam er frei. Sie wollen nicht zurück. Ihre Hoffnung ist das kleine Haus, dass sie sich mit Hilfe der kroatischen Material-Spenden auf dem Grundstück bauen, dass ihnen die Gemeindeverwaltung in der Nähe zur Verfügung gestellt hat. Seit sieben Jahren bauen sie daran, praktisch ohne Geld. Bis jetzt steht ein Erdgeschoss mit drei Zimmern im Rohbau, darüber eine Betondecke, Fenster und Türen sind auch schon drin. Ein Stromkabel wurde jüngst hingelegt, provisorisch. Miroslav hat sich schon mal daneben mit Brettern einen Stall gezimmert, in dem er seit dem Frühjahr zwei Schweine hält. Jeden Tag geht er zu Fuß von seiner Flüchtlingsunterkunft aus eine Stunde zu Fuß hin, eine Stunde zurück, um sie zu füttern.Wirklich wohnen kann man in dem Haus noch nicht. Vor allem auch, weil das Wasser fehlt.

Der Kampf um das Wasser

Die Trinkwasserversorgung  ist auch technisch schwierig. Nicht nur, weil die örtliche Kommunalverwaltung nur schwach organisiert ist. Das Grundwasser in der Region findet sich erst in etwa 80 Meter Tiefe. Und gleich unter einer dünnen Kruste Mutterboden liegt in schon 20 Zentimeter Tiefe nackter, harter Fels. Steinhart, zum Teil Quarz. Brunnen sind nur mit grosser, teurer Technik machbar, einer kostet etwa 15 000 Euro. Die billigere Variante sind Zisternen. Wasserbehältern, die sich aus den Niederschlägen speisen, die den regenreichen Winter über aufs Hausdach fallen. Nicht sonderlich hygienisch, aber billig und zweckmässig. Wichtig ist, eine solche Zisterne möglichst tief in den Boden einzugraben, damit dass Wasser im heißen Sommer kühl bleibt und nicht umkippt. Viele der Flüchtlinge wie Familie Silic haben in Eigenregie versucht, sich mit Spitzhacken und Schaufeln solche Zisternen in den Fels zu schlagen, drei Meter tief sollten sie möglichst sein. Die meisten kamen keinen halben Meter hinunter und gaben auf.

Die Technik, mit der es funktioniert, sind Sprengkapseln. Eine kostet 20 Euro, je nach Härte des Felsens braucht man ein paar Dutzend bis mehrere hundert, um ein Loch drei Meter tief und rund 3 mal vier Meter in Länge und Breite auszusprengen.  Soviel Geld hat keiner der Flüchtlinge. Eine Zisterne kostet im Schnitt 5000 Euro. Genau da setzt Bärbel Bohleys Hilfsprojekt an. Mit zunächst 150 000 Euro, die überwiegend ein Fonds des deutschen Auswärtigen Amtes finanziert, baut sie mit örtlichen Bauunternehmen, die auch viele der Flüchtlinge als Bauarbeiter dafür engagiert haben, zunächst 28 Zisternen, unter anderem auch für Familie Silic. Mit weiteren 400 000 Euro, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit genehmigt hat, werden im Jahr 2007 weitere etwa 75 Zisternen entstehen. „Wir leisten Hilfe zu Selbsthilfe“, so Bärbel Bohley. Viele der Familien, so auch Familie Silic, können nach dem Bau der Zisternen endlich aus ihren elenden Flüchtlingsunterkünften ausziehen und finden ein neues Heim in ihren Häusern. Auch wenn dort noch viel zu tun ist.

Die Freude

Bei den Pajics ist die Zisterne schon fertig. Die katholische Familie war 1993 vor moslemischen Kämpfern aus ihrem Dorf geflohen. Im Dorf Domanovici schaffen sie sich ein neues Heim. Derzeit ist es noch ein Rohbau, aber die Pajics sind schon eingezogen. Mutter Anica ist begeistert: „Bisher mussten wir unser Wasser in Kanistern heranschaffen. Mein Mann ist Tagelöhner, wir haben im Monat nur 250 Euro. Eine Zisterne hätten wir uns nie leisten können. Ich bin so froh.“ Einen Großteil der Finanzierung für Bärbel Bohleys Hilfsprojekt leistet der deutsche Staat. Doch auch Spenden sind erforderlich, denn laut den Fördervorschriften muss jede private Hilfsorganisation auch einen „Eigenanteil“ leisten. Deshalb bittet Bärbel Bohley um private Spenden:

Spendenkonto:

Seestern e.V.,

Kto: 101 822 9052,

BLZ: 100 900 00,

Berliner Volksbank

Mehr Infos und Kontakt zu Bärbel Bohley unter: www.baerbelbohley.de

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