Asarow: „Ich will die Mitgliedschaft in der EU, aber erst dann, wenn wir dazu bereit sind!“

Interview mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow (Partei der Regionen), erschienen in SUPERillu Heft 35/2013

Interview: Gerald Praschl, Tatyana Reshchynska

Eine für deutsche Augen bizarre Gemäldesammlung schmückt den Flur zum  Büro des ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow, 65. Nebeneinander hängen dort in einer langen Reihe in Öl auf Leinwand alle Machthaber des Landes im für die Ukraine so schrecklichen 20. Jahrhundert. Darunter auch Nikita Chruschtschow, der unter Diktator Stalin Vorsitzender des Ministerrats der Ukrainischen Sowjetrepublik war.  Ganz am Ende der langen Reihe hängt das Bild von Julia Timoschenko, die die Ukraine von 2007 bis 2009 als demokratisch gewählte Ministerpräsidentin regierte. Jeden Tag geht Asarow auf dem Weg in die Arbeit an dem Gemälde mit ihrem Antlitz vorbei – und wird dabei an sein größtes Problem erinnert. Ein Interview.

Seit 2011 sitzt Julia Timoschenko im Gefängnis. Wegen angeblichem Hochverrat wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt. Alle Forderungen westlicher Politiker, die in ihren Augen zu Unrecht inhaftierte Politikerin freizulassen, stießen bei Ministerpräsident Asarow und seinem Parteifreund, dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch auf taube Ohren. Doch nun könnte Bewegung in die Sache kommen. Denn in der einstigen Sowjetrepublik, seit 1991 zwar unabhängig, aber wirtschaftlich und politisch wie zur Sowjetzeit stark nach Russland orientiert, bahnt sich ein Wandel von historischer Dimension an.
Die Ukraine möchte lieber zum „Westen“ gehören. Ende November will die Regierung dazu als ersten Schritt ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Und in der Folge so schnell wie möglich Mitglied der EU werden. Asarow und Janukowitsch schlagen sich damit auch auf die Seite von Julia Timoschenkos „Vaterlandspartei“, die den „Weg nach Westen“ schon lange fordert. Von wütenden Protesten, vor allem aus den Reihen der russischen Minderheit im Land, der sie beide selbst angehören, lassen sich Premier und Präsident offenbar nicht schrecken. Und auch nicht von den wüsten Drohungen von Russlands Präsident Wladimir Putin, der für den Fall, dass das EU-Abkommen unterschrieben wird, mit einem erbitterten Handelskrieg droht. Mit westlicher Hilfe werden derzeit die Gasspeicher des Landes aufgefüllt, für den Fall, dass Putin, wie schon einmal 2006, mitten im Winter den Gashahn abdreht…
Das Interview. Warum nimmt die Ukraine diese Unbill auf sich? „Eure Art zu leben, imponiert uns“, sagt Asarow dazu in dem Interview, das ich für SUPERillu mit ihm Mitte September 2013 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew führte (siehe unten). Das Land, das noch schwer an den Folgen der sowjetischen Misswirtschaft leidet, braucht dringend Investitionen, neue Fabriken, Arbeitsplätze. Der Westen erscheint da als besserer Partner als Russland, das genau dieselben Probleme hat.
Der Krimi. Doch der Fall  Julia Timoschenko könnte das Abkommen kippen. Denn viele EU-Politiker fordern, dass sie freigelassen wird, bevor sie ihre Unterschrift unter den Vertrag setzen. Im Interview gibt sich Asarow hart. Auch die goldene Brücke, die ihm EU-Politiker bauten, sie zur „medizinischen Behandlung“ nach Berlin ausreisen zu lassen, will er nicht.
So hängt das Schicksal eines ganzen Landes mit 45 Millionen Menschen an einem blonden Zopf, an dem von Julia Timoschenko.

 

Ende November will die Ukraine ein Assoziierungabkommen mit der EU unterzuzeichnen. Warum wollen sie unterschreiben?
Das Assoziierungsabkommen bringt uns gegenseitige Vorteile. Unsere Waren haben dann wegen niedrigerer Zölle einen leichteren Zugang zum europäischen Markt. Unsere landwirtschaftlichen Produkte werden auf dem europäischen Markt konkurrenzfähiger. Die EU hat sich verpflichtet, die landwirtschaftliche Produktion, die sie nach der Ukraine exportiert, nicht zu subventionieren. Dadurch könnten wir das derzeit leider hohe Außenhandelsdefizit, das wir gegenüber der EU haben, ausgleichen. Sehr wichtig ist, dass das Abkommen auch visumfreies Reisen in die EU für unsere Bürger in Aussicht stellt.

Der Fall Timoschenko könnte dieses wichtige Abkommen aber noch kippen. Viele EU-Politiker, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, erwarten vor der Unterzeichnung eine Lösung. Kommt Julia Timoschenko jetzt frei?
Wir suchen nach einer Lösung, die unseren Gesetzen entspricht. Die Frage ist nicht, ob die Regierung der Ukraine Julia Timoschenko freilassen will oder nicht. Sie ist von einem Gericht verurteilt worden, weil sie dem Land großen Schaden zugefügt hat. Ich glaube nicht, dass jemand in Deutschland auf die Idee käme, die Kanzlerin zu fragen, ob sie ein Gerichtsurteil revidieren könnte. Es ist auch ausgeschlossen, dass die Regierung der Ukraine das tun wird. Ich finde die Berichterstattung im Westen darüber sehr tendenziös. Zum Beispiel hat bei ihnen fast kein Medium darüber berichtet, dass ein Hamburger Gericht erst kürzlich einen Prozess, den Julia Timoschenko gegen mich persönlich dort angestrengt hatte, für mich positiv entschieden hat. Sie hatte mich verklagt, weil ich sie in einem Interview mit der ARD als Komplizin des früheren ukrainischen Premierministers Pawlo Lasarenko bezeichnet habe, der in den USA als Krimineller verurteilt wurde. Das Hamburger Gericht hat die Klage Timoschenkos abgewiesen und bestätigt, dass alles, was ich gesagt habe, dem Inhalt der Dokumente der amerikanischen Justiz entspricht. Dieser Fakt charakterisiert Frau Timoschenko sehr gut und fand leider keinen Widerhall in der deutschen Presse.

Es geht um einen Vertrag von historischer Dimension für ihr Land. Wollen Sie das am Fall Timoschenko scheitern lassen? Sie könnten ihr doch erlauben, zur medizinischen Behandlung nach Deutschland auszureisen, dann wären Sie sie doch elegant und ohne Gesichtsverlust los …
Es gibt kein Gesetz in der Ukraine, das eine solche Behandlung im Ausland für eine Strafgefangene ermöglicht.

Die Regierung der Ukraine wird also nicht erlauben, dass Julia Timoschenko das Land verlässt?
Die Regierung der Ukraine hat mit der Lösung dieses Problems nicht zu tun. Das ist nicht ihre Kompetenz, sondern die Kompetenz der Gerichte.

Russlands Präsident Putin, der fordert, dass sie lieber der von Russland dominierten osteuropäischen Zollunion beitreten, droht für den Fall, dass sie bei der EU unterschreiben, mit schweren wirtschaftlichen Konsequenzen. Ist Ihnen das den Preis wert?
Wir sehen unsere Beziehungen zu Russland und der EU nicht als Gegensatz und werden das auch in der Zukunft nicht tun. Die Ukraine grenzt sowohl an die Länder der EU als auch an die Länder der russischen Zollunion. Das sind unsere zwei größten wirtschaftlichen Partner. Es ist für uns lebenswichtig, dass wir zu beiden Seiten gute Beziehungen haben. Wir haben das lange abgewogen. Auch eine Mitgliedschaft in der Zollunion brächte uns zweifellos einige Vorteile. Die derzeit hohen Öl- und Gaspreise, die wir zahlen müssen, würden erheblich sinken. Außerdem würden alle Zollbeschränkungen, die zwischen unseren Ländern gelten, entfallen. Das wäre gut, denn auch 22 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion sind unsere wirtschaftlichen Beziehungen eng.

Haben Sie Angst vor Putin?
Die Beziehungen zwischen Staaten werden nicht in solchen Kategorien gemessen. Wir kennen Putin schon lange und haben gute Beziehungen zu ihm. Ich habe von seiner Seite weder Drohungen noch Druck gespürt. Manchem, was er uns vorschlägt, stimmen wir zu, manchem nicht, wie in diesem Fall. Und das ist unser Recht.

Die EU stellt in dem Abkommen auch Bedingungen: rechtstaatliche Reformen, mehr Demokratie und Pressefreiheit, Korruptionsbekämpfung und Verbesserungen bei vielem mehr, wofür ihr Land in der Vergangenheit kritisiert wurde…
All die Veränderungen in unserem Land, die nach dem Abkommen stattfinden sollen, machen wir nicht der EU zuliebe, sondern weil wir es wollen. Weil sich solche Reformen auch positiv auf die Investitionen, die Modernisierung unseres Landes und auf die Entwicklung der demokratischen Strukturen und der Zivilgesellschaft auswirken. Das ist auch in unserem Interesse.

Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg großes Elend über die Ukraine gebracht, ihr Land verwüstet, Millionen Ukrainer starben. Erwarten Sie von uns, dass wir uns deswegen besonders für ihr Land einsetzen?
Ein solches ethisches Urteil steht mir nicht zu. Das entscheiden die Deutschen selbst. Wir sind Pragmatiker. Deutschland ist ein starkes Land und spielt eine entscheidende Rolle in der EU. Überspitzt gesagt könnte man sagen, die Europäische Kommission spricht deutsch. Bei Deutschland liegt die größte Verantwortung für die Entscheidungen der EU. Starke und demokratische Ukraine in Assoziierung mit der EU ist historische Wahl. Wir hoffen deswegen, dass uns Deutschland unterstützt.

Wenn in Deutschland die Rede von der Ukraine ist, dann geht es oft nicht über schmeichelhaften Dinge. Die Deutsche haben ein merkwürdiges Bild von diesem Land: Oligarchen, Korruption oder Prostitution. Wie sehen Sie ihr Land?
Das, von was sie sprechen, gibt es bei uns bestimmt. Aber nicht nur das macht unser Land aus. Und übrigens: auch in Deutschland gibt es doch viele Schattenseiten. Haben sie keine Oligarchen, keine Korruption, keine Prostitution? Aber wenn wir an Deutschland denken, denken wir an die bedeutsame Kultur, guten Sport, gute Wirtschaft, technischen Fortschritte und nicht an Mafia oder Prostitution. Ja, wir haben viele Probleme! Die werden weder vor unserer Bevölkerung noch vor unseren Partnern verheimlicht. Wir müssen noch vieles machen, was die Modernisierung unseres Landes betrifft. Und das machen wir. Die Ukraine ist ein Land mit einem großen Potenzial und wunderbaren Menschen.

Wünschen Sie sich, dass die Ukraine auch Mitglied der EU wird?
Ja. Aber es soll nicht so wie mit Bulgarien und Rumänien geschehen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, auf den Markt, auf die europäischen Normen und Standards. Ich habe mit Russlands Premierminister Dmitri Medwedew darüber geredet. Wir sind beide der Meinung, dass wir in unseren Ländern europäische Standards anstreben sollten. Eure Art zu leben imponiert uns. Ich will die Mitgliedschaft in der EU, aber erst dann, wenn wir dazu bereit sind! Eine Mitgliedschaft steht auch deswegen derzeit nicht zur Debatte, weil unsere Kollegen aus den EU-Staaten das ablehnen. Wir wollen uns deswegen nicht streiten. Wir werden sehen, wie lange die Ukraine dafür brauchen wird, 10, 15 oder 20 Jahre. Oder weniger.

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