Die evangelische Petrikirche am Petersburger Newski Prospekt ist ein stiller Zeuge, wie groß die deutsche Gemeinde einst war. 15 000 Mitglieder zählten die überwiegend deutschen Protestanten im 19. Jahrhundert. Schon 1710, kurz nach der Gründung der Stadt durch Peter den Großen war auch die Kirchgemeinde entstanden – als geistliche Heimatstadt für die vielen Deutschen, die damals in die neue russische Hauptstadt kamen, als Fachleute oder Glücksritter.
Die Kirche ist aber auch ein stiller Zeuge der Katastrophe, die im 20. Jahrhundert mit der kommunistischen Diktatur nicht nur über die Deutschen von Sankt Petersburg, sondern über ganz Russland hereinbrach. Ihr Vermögen verlor die wohlhabende Gemeinde schon kurz nach dem Putsch der Kommunisten in der sogenannten „Oktoberrevolution“ 1917 – die Kirche und vor allem ihr umfangreicher Grundbesitz, darunter zwei große Miethäuser am Newski-Prospekt, wurden verstaatlicht. 20 Jahre lang konnten noch Gottesdienste stattfinden – bis 1937 Stalins „Großer Terror“, dem insgesamt 700 000 überwiegend Intellektuelle und Parteifunktionäre zum Opfer fielen, auch über die Petrigemeinde hinwegbrach. Die Kirche wurde von den kommunistischen Machthabern geschlossen, die beiden letzten Pfarrer, Paul und Bruno Reichert (Vater und Sohn) verhaftet und wie zehntausende andere von Stalins Geheimpolizei NKWD erschossen und am Stadtrand in einem Massengrab verscharrt. Die meisten Gemeindemitglieder wurden, wie Millionen „Russlanddeutsche“ aus ihrer angestammten Heimat nach Sibirien oder Kasachstan verbannt, Hunderttausende kamen dabei um.
Zurückgekehrt ist fast niemand. Die meisten Russlanddeutschen verließen ihre einstigen zentralasiatischen Verbannungsorte – als das durch Gorbatschows Perestroika und später dem Zusammenbruch der Sowjetunion möglich wurde, nicht in Richtung ihrer einstigen russischen Heimatstädte im europäischen Teil des Landes – sondern gingen lieber gleich nach Deutschland, das bessere Perspektiven versprach. Immerhin wurde die evanglisch-lutherische Petrigemeinde von einigen wenigen deutschen Lutheranern (heute zählt die Gemeinde 130 Mitglieder) wieder gegründet und bekam 1993 auch das Gebäude der Kirche zurück – wenn auch nicht den sonstigen Kirchenbesitz.
Im Kirchenschiff erwartete sie ein merkwürdiges Relikt: Zur Sowjetzeit wurde in dem enteigneten Kirchengebäude ein Hallenbad eines Staatsbetriebs errichtet. Im Altarraum stand der Sprungturm. Die Renovierung blieb mangels großer finanzieller Mittel provisorisch – die Tribünen des Hallenbads sind noch immer im Kirchenschiff, stolz ist man auf die neue Orgel.
Im Keller unter dem Kirchenschiff ist nicht nur das alte Becken des Schwimmbads noch immer zu sehen. Sondern auch Wandzeichnungen des Künstlers Adam Schmidt (1921-2011) der selbst als jungen Mann wegen seiner deutschen Herkunft nach Sibirien deportiert worden war. Sie erzählen von dem Grauen und dem Unrecht, das nicht nur die Deutschen von St. Petersburg, sondern auch Millionen Menschen der anderen Völker der Sowjetunion unter dem Sowjetterror erlebten.
Danke für die interessante Seite! Zusätzliche Informationen aus historischen Quellen erhalten Sie unter https://www.ios-regensburg.de/informationsinfrastruktur/bibliothek/digitale-bibliothek/literatur-zu-auslaendern-im-russischen-reich.html, dort zur evangelischen Kirche in Russland und Veröffentlichungen zu St. Petri aus dem 19. Jahrhundert im Volltext.