Belarus: Meine aktuelle Reportage aus der Mitte Europas

Erschienen in SUPERillu  49/2017

Von Gerald Praschl und Andrzej Stach 

Genau in der Mitte Europas gelegen, war das Gebiet des heutigen Belarus, dem Land, dass die Deutschen “Weißrussland” nennen, der “Ground Zero” der europäischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Im Zeichen der neuen Spannungen zwischen EU und Russland liegt nun erneut an einer Demarkationslinie, die nicht nur die Außenpolitik des Landes, sondern vor allem auch das Leben seiner Menschen nicht einfacher macht.
Meine Reportage – mit vielen Fotos und Infos – hier online. Und am 30.11.2017  in der gedruckten SUPERillu (Heft 49/2017)

Spätestens seit er 2010 in der Hauptstadt Minsk die Opposi­tion zusammenprü­geln ließ, galt Weiß­russlands Präsident Alexander Lukaschenko im Westen als Unperson. Als „letzter Diktator Europas“ wurde er von der EU mit Sanktionen überzogen. Nun scheint alles ganz anders. Schon im Februar 2016 setzte die EU die Sanktionen gegen die Republik Belarus, wie das Land offiziell heißt, aus. Ein erstes kleines Dankeschön für Luka­schenkos Vermittlung im Kon­flikt zwischen Russland und der EU nach dem russischen Ein­marsch im Osten und Süden der Ukraine. Nun reiste Bundes­außenminister Sigmar Gabriel persönlich nach Minsk, um mit Lukaschenko weitere Schritte der Annäherung zu erörtern. Er überbrachte auch eine Einladung in die EU­Hauptstadt Brüssel. Man sähe es doch gern, wenn Lukaschenko, der noch vor zwei Jahren nicht einmal privat in die EU einreisen durfte, dort als Staatsgast zum „EU­Gipfel der Östlichen Partnerschaft“ käme. Im Gespräch ist auch eine Wiederaufnahme seines Landes in den Europarat, in dem alle 47 Staaten Europas vertreten sind, außer Belarus. Dass sich an der politischen Situation in Weißrussland gar nichts geändert hat, scheint dem Westen auf einmal nicht mehr so wichtig. Nach wie vor werden dort Oppositionelle schikaniert, die Medien sind gleichgeschal­tet, die Wahlen (Lukaschenko ließ sich seit 1994 schon fünfmal zum Präsidenten wählen) sind augenscheinlich manipuliert.

Aber in der Krise schauen die EU­-Außenpolitiker – genau wie im Fall der nordafrikanischen Diktaturen – nicht mehr so genau hin, sondern sind froh, an den Außengrenzen der EU über­haupt stabile Regime zu haben, mit denen man verhandeln kann. Minsk spielt dabei eine Schlüsselrolle. Und zwar seit dort 2015 auf Vermittlung Lu­kaschenkos das „Minsk­II­Ab­kommen“ zustande kam, das im bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in der Ostukraine zumindest einen Waffenstillstand schaffen soll. Der ist zwar immer noch brü­chig, rückt aber in Sichtweite. Dieser Konflikt verursachte zwei Millionen Kriegsflüchtlinge.Als Handelspartner Deutsch­lands spielt Belarus bisher nur eine sehr geringe Rolle. Im Land herrscht wirtschaftlich noch der Geist des Staatssozialismus. 70 Prozent der Wirtschaft wer­den von staatlichen Großbetrie­ben dominiert, private Unter­nehmen sind in den Augen des ehemaligen Kolchos­Direktors Lukaschenko nur geduldete Lückenfüller. 90 deutsche Fir­men sind in Belarus präsent, die meisten aber nur in Form von kleinen Handelsvertretungen. Unter den wenigen Leucht­türmen deut­scher Invest­ments ist ein Werk von Carl Zeiss Jena in Minsk. Zu ­dem gibt es eine boomende global vernetzte Softwareindustrie im Land. Bald könnte der Handel zunehmen.

Schon seit 1993 versucht Belarus Mitglied der Welthandelsorgani­sation WTO zu werden. Zuletzt lagen die Verhandlungen aus politischen Gründen auf Eis. Nun kommt Bewegung in die Sache. Ein heikler Punkt dagegen ist ein mögliches „Assoziierungs­abkommen“ mit der EU, mit dem schon viele Länder (aktuell: Tunesien, Israel, Marokko, Jor­danien, Ägypten und Algerien, Moldawien, Georgien und die Ukraine) ihre Handelsmöglich­keiten mit der EU verbesserten. Die EU bietet auch Belarus Ver­handlungen über ein solches Abkommen an – aber da ist Lukaschenkos rote Linie. Denn dem „großen Bruder“ in Moskau geht das zu weit. Während Sig­mar Gabriel nun in Minsk be ­tonte, dass die EU kein Problem darin sähe, dass Belarus gleich­zeitig Mitglied von Putins Eura­sischer Zollunion sei und mit der EU ein Assoziierungsabkommen abschließe, lehnt Lukaschenko das ab – wahrscheinlich auch aus Furcht vor Moskau, das 2014 die Panzer rollen ließ, nachdem die benachbarte Ukrai­ne ein EU­Assoziierungsabkom­men unterschrieb. Stattdessen spielt Lukaschen­ko, durchaus geschickt, auf drei Klavieren. Er will erstens wieder gute Beziehungen zur EU, erhofft sich von dort vor allem Investi­tionen. Zum Zweiten zeigt er sich gegenüber Putins Russland als treuer Statthalter. Das geht auch gar nicht anders, denn Russland finanziert über Subventionen mindestens ein Viertel des weiß­russischen Staatshaushalts. Die Russen bauen außerdem gerade ein großes Atomkraftwerk bei Grodno. Und würde Belarus trotzdem abtrünnig, wäre bin­nen Stunden Putins Armee da.

Oder „grüne Männchen“ wie auf der Krim oder in der Ostukraine. Zum Dritten bemüht sich Lukaschenko intensiv um Chi­na, das mit seinen Waren auch in Belarus die Märkte über­schwemmt. Am Minsker Flug­hafen (in dem Durchsagen auch auf Chinesisch laufen) entsteht ein 90 Quadratkilometer großer In dustriepark für chinesische Unternehmen. Noch sind die Ausbaupläne größer als die Realität, einige Fabriken stehen jedoch schon. Neue Fabriken und besser bezahlte Jobs braucht Belarus dringend. Die meisten Familien leben von wenigen Hundert Euro im Monat. Die Produkte vieler großer Staatsbetriebe wie Trak­toren oder Kühlschränke sind hoffnungslos veraltet und häufig nur noch billig in Dritte­Welt­Ländern oder der russischen Provinz absetzbar. Viele junge Menschen im Belarus träumen davon, in den Westen zu gehen. Oder sind schon weg.

Die Bevöl­kerung schrumpft, die Dörfer leeren sich, Englisch und auch Deutsch sind unter jungen Men­schen als Fremdsprachen sehr gefragt –zum Abhauen in den „Westen“. Aktuell lernen rund 100 000 Schüler in Belarus Deutsch. Nach Deutschland kommen sie später oft als Stu­denten (was rechtlich einfach ist, wenn man schon Deutsch kann). Viele kehren ihrer Heimat dann später für immer den Rücken. Sigmar Gabriels Einladung nach Brüssel schlug Lukaschen­ko übrigens aus, schickte nur seinen Außenminister. Dafür gibt es zwei Deutungen. Ent weder wollte er Selbstbewusstsein de ­monstrieren, als Revanche für die Kränkung, so lange nicht in die EU einreisen zu dürfen. Oder er wollte Putin in Moskau nicht unnötig reizen, dem vielleicht schon der Handschlag von Minsk zu viel war.

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