„Serbien war die Bastion, die die europäische Kultur, Religion und die europäische Gesellschaft insgesamt verteidigt hat. Deshalb ist es ungerecht und sogar unhistorisch und absurd, heute über Serbiens Zugehörigkeit zu Europa zu diskutieren. Serbien war immer ein Teil von Europa und genau wie früher auf seinem eigenen Weg, aber auf einem Weg, der seinem historischen Gefühl, seiner Würde entsprach. In diesem Sinne bauen wir eine Gesellschaft auf, die reich und demokratisch ist, die ihren Beitrag leistet zum Gemeinwohl dieses wunderbaren Gebietes, eines ungerecht leidenden Landes, das aber mit seinen progressiven Menschen dazu beitragen wird, eine bessere und glücklichere Welt zu schaffen.“
Diese Worte könnten auch von Zoran Djindjic stammen. Gerne bediente er sich – vor allem bei Reden, die er in seiner serbischen Muttersprache hielt, dem „serbischen“ Thema, um in die Herzen seiner durch die „nationale Katastrophe Serbiens“, vier faktisch verlorene Kriege zwischen 1991 bis 1999 und ein wirtschaftlicher Zusammenbruch, oft bedrückten und etwas orientierungslosen Landsleute zu dringen. Das Zitat stammt aber vom lebenslangen Erzfeind Djindjics: dem serbischen Kommunistenführer Slobodan Milosevic. Es ist Teil der Rede, die Milosevic am 28. Juni 1989 vor 2 Millionen angereisten Serben auf dem Amselfeld bei Pristina hielt. Das martialische Medienereignis, bei dem Milosevic damals in dunklen Andeutungen das „Schicksal der Serben“ beschwor, machte allen nichtserbischen Einwohnern des damaligen Jugoslawiens berechtigterweise Angst und ließ in ihnen eine dunkle, leider zutreffende Vorahnung von großem Unheil aufsteigen. Wie blanker Hohn klingt mit dem Wissen von heute der Appell, mit dem Milosevic seine Ansprache am 28. Juni 1989 schloss: „Lang lebe der Frieden und die Brüderschaft zwischen den Völkern!“
Der 28. Juni heißt im serbischen „Vidovdan“, es ist der Tag des slawischen Nationalheiligen Sankt Veit. Er war für Serbien stets ein ganz besonderes Datum. Am Sankt-Veits-Tag des Jahres 1389 unterlagen die slawischen Krieger des serbischen Königs Lazar und seines Heerführes Milos Obilic auf dem Amselfeld bei Pristina der Armee des türkischen Sultans. Über 500 Jahre lang fiel der gesamte Balkan unter die Herrschaft der muslimischen Osmanen. Bis heute schmücken Gemälde vom tragischen Heldentod der serbischen Verteidiger des christlichen Abendlands auf dem Amselfeld viele Wohnzimmer serbischer Familien. Alle Pathetik und Geschichtsfälschung weggerechnet, ist die Geschichte der Schlacht auf dem Amselfeld ein gewichtiges und interessantes Stück nationaler Identität dieses Landes. Nach dem Niedergang der Osmanen griff zu Anfang des 20. Jahrhunderts Österreich-Ungarn nach der Macht im Südosten Europas. Am Sankt-Veits-Tag des Jahres 1914 erschoss der serbische Nationalist Gavrilo Princip in Sarajevo den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand. Nach vier Jahren Weltkrieg war Österreich-Ungarn von der Landkarte verschwunden und der serbische König Alexander Karadjordevic begründete das südslawische Reich der Serben, Kroaten und Slowenen, das seit 1929 „Jugoslawien“ hieß und unter serbischer Führung stand. So wundert es nicht, dass sich Zoran Djindjic in der kurzer Zeit, in der er an Spitze Serbiens stand, ausgerechnet den Sankt-Veits-Tag, den 28. Juni des Jahres 2001, aussuchte, um der ganzen Welt zu demonstrieren, daß für Serbien eine neue, bessere Zeit begonnen habe. An diesem Tag ließ er den entmachteten Slobodan Milosevic durch Sondereinheiten der Polizei aus seiner Belgrader Villa holen und lieferte ihn dem „Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien“ ICTY aus.
Djindjics Serbien: Kleines Land am Rande Europas
Solange der skrupellose Potentat Milosevic Krieg, Tod und Willkür über den Balkan verbreitete, stand die Region im Mittelpunkt internationalen Interesses. Die Regierungen in Washington, Moskau und Peking beschäftigten sich damit, die NATO-Zentrale in Brüssel, die europäischen Staatschefs, Geheimdienste, der Papst in Rom, die CNN-Sendezentrale im fernen Atlanta. Talkshows auf allen Kanälen präsentierten Generäle, Politiker und Professoren als „Balkanexperten“. An deutschen Stammtischen plätscherten zwischen den Fußballergebnissen des Wochenendes und schmuddeligen Witzen zungenbrecherisch-vokalarme Namen südslawischer Städte oder Politiker locker und flüssig über den Tisch. Und Hunderttausende demonstrierten auf den Straßen Europas gegen „Bomben auf Serbien“. Weder vor noch nach Milosevic genoß Serbien so große Aufmerksamkeit. Seit Milosevic in seiner Gefängniszelle sitzt, ist Serbien wieder das, was es immer war: Ein kleines, landschaftlich idyllisches, aber wirtschaftlich und gesellschaftlich zerrüttetes Land auf der Schattenseite Europas. Was Zoran Djindjic in nur zwei Jahren als serbischer Ministerpräsident an zukunftsweisender Politik für sein Land machte, tauchte in den Politik-Teilen westlicher Zeitungen allenfalls noch als gelegentliche Kurzmeldung auf. Ironie der Geschichte, das ausgerechnet sein gewaltsamer Tod Serbien endlich wieder auf die Titelseiten rückte.
Vom Offizierssohn zum Dissidenten
Zoran Djindjic wurde am 1. August 1952 als Sohn eines dort stationierten serbischen Offiziers der Jugoslawischen Bundesarmee in Bosanski Samac geboren, einer überwiegend von Kroaten bevölkerten Kleinstadt am Fluß Save im äußersten Norden Bosniens. Anfang der 70er Jahre begann er ein Studium der Philosophie an der Universität Belgrad. Durch seine Überzeugungskraft, aber auch durch seine Fähigkeit zu machtpolitischer Strategie wurde er zu einer Führungsfigur unter den Studenten. 1974 versuchte er, an der Universität eine von den kommunistischen Massenorganisationen unabhängige Studenten-Organisation zu gründen. Das brachte ihm nicht nur die Exmatrikulation, sondern auch eine mehrmonatige Haftstrafe ein. Nach seiner Haftentlassung ging er nach Deutschland, wo er zunächst an der Universität Frankfurt/Main, später an der Universität Konstanz weiter Philosophie studierte. Einer seiner Professoren war Jürgen Habermas. Aus seiner Studienzeit in Frankfurt/Main erzählte Djindjic oft und gern die liebenswerte Anekdote von seinem bevorzugten Laden für philosophische Bücher, der Frankfurter „Karl-Marx-Buchhandlung“, wo er den damaligen Buchverkäufer Joschka Fischer kennengelernt habe. Das Schicksal sollte die beiden zwei Jahrzehnte später wieder zueinander führen und in enger Freundschaft verbinden. Damals unterschieden sich nicht nur ihre politischen Ziele, sondern auch die Vorstellung, wie diese umzusetzen seien. Der junge Djindjic vertrat trotz der im Vergleich zum damaligen Westdeutschland weit schwierigeren Verhältnisse in seiner Heimat die Meinung, daß nur ein demokratischer, bündnisorientierter und gewaltfreier Weg sein Land verändern könne. Der junge Joschka Fischer mußte das noch lernen, erfolgreich, wie die Geschichte zeigte. 1979 promovierte Djindjic bei Professor Alfred Wellmer in Konstanz zum Thema „Marx’ kritische Gesellschaftstheorie und Begründungsproblematik“. Unmittelbar danach kehrte er nach Jugoslawien zurück. Trotz seiner politischen „Vorstrafe“ bekam er eine Dozentenstelle an der Universität von Novi Sad und wurde nach der Aufweichung des kommunistischen Systems nach Titos Tod 1980 dort Professor. In den 80er Jahren engagierte er sich zunehmend politisch, außerhalb der Staatspartei des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“. So kritisierte er öffentlich die von zahlreichen serbischen Politikern vertretene, im Volk sehr populäre Forderung nach einer Aufhebung des Autonomie-Status für das von Albanern besiedelte Kosovo und vertrat eine weniger serbisch-nationalistische Linie.
Das System Milosevic: Wahlfälschung und Volksverhetzung
In den 80er Jahren wurde die Bundesrepublik Jugoslawien zunehmend von einem rapiden wirtschaftlichen Niedergang und nationalen Spannungen erschüttert. 1986/1987 stürzte eine erste Hyperinflation vor allem die „kleinen Leute“ in Armut und Not. Nationale Spannungen in dem einst unter serbischer und später kommunistischer Führung stehenden Vielvölkerstaat hatte es immer gegeben. Der wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes schwemmte nun aber Populisten an die Spitze, die bald entdeckten, daß mit serbisch nationalen Tönen mehr Einfluß im Volk zu gewinnen sei als mit kommunistischen Phrasen. Der damalige KP-Chef der Teilrepublik Serbien, Slobodan Milosevic, spielte dieses Klavier am erfolgreichsten. Bei den ersten Mehrparteiwahlen in Jugoslawien 1990 errang seine serbische KP, die sich nun „Sozialistische Partei Serbiens“ SPS nannte, einen überwältigenden Sieg. Erst bei den nächsten Wahlen 1992 (bei denen Milosevic Wahlfälschung vorgeworfen wird), gewannen auch Politiker anderer Parteien mehr Einfluß im Parlament, die allerdings einen noch wesentlich radikaleren Nationalismus vertraten: die serbisch-monarchistische „Serbische Erneuerungsbewegung“ SPO von Vuk Draskovic und die „Serbische Radikale Partei“ SRS von Vojislav Seselj. Die Partei, die Zoran Djindjic und andere überwiegend aus Hochschulkreisen stammende Politiker 1990 aus der Taufe gehoben hatten, war in dieser Zeit nur ein Mauerblümchen: Die „Demokratische Partei“ DS. Sie errangt bei den ersten Parlamentswahlen 1990 aber immerhin sieben der 249 Mandate. Daß Milosevics SPS mit 46 Prozent der Stimmen 194 Mandate (77,6 % aller Parlamentssitze) holte, lag an dem von der ehemaligen Staats-Partei festgelegten Mehrheitswahlsystem, mit dem die Ex-Kommunisten ihre Macht erhalten wollten. Die jugoslawischen Wahlen von 1990 brachten aber auch noch ein anderes wichtiges Ergebnis: Trotz des die Ex-Kommunisten mit ihrer landesweit flächendeckenden Organisation begünstigenden Wahlsystems errang in der Teilrepublik Kroatien der neugegründete „Kroatische Demokratische Block“ HDZ des unter Tito als „kroatischer Separatist“ verfolgten ehemaligen Armee-Generals Franjo Tudjman einen überwältigenden Sieg mit 55 der 80 Sitze im kroatischen Regionalparlament. Die Auflösung Jugoslawiens war durch den Wahlsieg der sich vorwiegend ethnisch definierender Parteien auf beiden Seiten nur noch eine Frage der Zeit. Der Nationalitätenkonflikt und das Auseinanderbrechen des Landes stellten alle eigentlich viel wichtigeren Themen des Landes, die zerrüttete wirtschaftliche Lage, die Verarmung der Bevölkerung und die bald ausufernde Kriminalität und Korruption in den Schatten. Mit Reden, die die Demokratisierung des Landes nach westlichem Muster oder einen „Weg Serbiens nach Europa“ in den Mittelpunkt stellten, war auf der politischen Bühne Serbiens kein Preis zu gewinnen, auch deshalb nicht, weil das Milosevic-Regime wie einst zu kommunistischen Zeiten praktisch alle Massenmedien des Landes kontrollierte.
Djindjics Haltung im Bosnienkrieg
Auch Zoran Djindjic bediente sich in dieser Zeit zunehmend serbisch-nationaler Töne, vor allem in Interviews mit serbischen Medien und in Reden in seiner Landessprache. Als sich der zunächst zwischen Kroatien und Serbien entfesselte Krieg im Frühjahr 1992 auch nach Bosnien ausweitete, forderte Djindjic einen „gemeinsamen Staat für alle Serben“ und damit eine ethnische Teilung Bosniens. In der Kosovo-Frage trat er nicht länger für eine Autonomie für die dortige albanische Mehrheit ein, sondern forderte mit seiner Partei sogar Maßnahmen zur Begrenzung der hohen Geburtenrate der Kosovo-Albaner. Als unter dem Eindruck der Massaker, die serbische Artillerie im belagerten Sarajevo anrichtete, die NATO von den Serben ultimativ den Abzug aller schweren Waffen auf dem Umfeld von Sarajevo forderte, fuhr Djindjic sogar demonstrativ in das bosnisch-serbische Hauptquartier nach Pale, um Solidarität für die harte Haltung des dortigen Serben-Führers Radovan Karadzic zu zeigen. Und als kurz vor Kriegsende 1995 der serbische Präsident Milosevic auf internationalen Druck hin auf Distanz zu den von Karadzic angeführten bosnischen Serben ging, trat Djindjic in Interviews mit serbischen Zeitungen weiter für eine Konföderation der bosnischen Serben-Republik mit dem nunmehr nur noch aus Serbien und Montenegro bestehenden Jugoslawien ein. Seinem Opportunismus, dessen Ziel es war, Milosevic die Macht abzujagen und Serbien auf einen neuen Weg zu führen, waren in dieser Zeit keine Grenzen gesetzt. In Zeitungsinterviews und bei Gesprächen mit Politikern im westlichen Ausland dagegen war ein ganz anderer Zoran Djindjic zu bewundern. Dort erklärte er charismatisch und in fließendem Deutsch oder Englisch sein Ziel eines demokratischen, weltoffenen, prosperierenden Serbien mit westlicher Bindung. An seinem Eintreten für eine faktische Annexion der serbischen Gebiete von Bosnien durch Serbisch-Rest-Jugoslawien hielt er aber auch auf internationalem Parkett fest, auch wenn das dort keiner hören wollte. Von einem „multiethnischen Staat“, wie ihn die westliche Staatengemeinschaft seit ihrer Intervention in Bosnien 1995 auf jeden Fall erhalten will, riet er dringend ab. Er forderte stattdessen klare, international garantierte Grenzen zwischen den Ethnien des Landes. Der Krieg habe zu viel Haß hinterlassen, als das die Menschen nun einfach wieder in einem Staat zusammenleben könnten. Klar definierte Grenzen zwischen den Ethnien könnten viel eher dazu beitragen, so argumentierte er, dauerhaft für Frieden zu sorgen. Wenn die Menschen auf beiden Seiten der Grenze erst lange genug voneinander unabhängig gelebt hätten, würden sie schon erkennen, daß es ihnen wirtschaftlich und politisch nur Vorteile bringe, gute diplomatische Beziehungen zu unterhalten und friedlich miteinander Handel und Kulturaustausch zu treiben.
Djindjic als Bürgermeister von Belgrad
Für sein Lebensziel, ein demokratisches, prosperierendes Serbien in der politischen Mitte Europas, das von seinem tiefen Patriotismus getragen war, wäre Djindjic auch bereit gewesen, mit dem Teufel zu paktieren. Das stellte er 1996 eindrucksvoll unter Beweis, als er zusammen mit dem zweifelhaften serbisch-monarchistischen Politiker Vuk Draskovic und dessen Partei SPO ein Wahlbündnis einging, daß sich „Zajedno“ („Gemeinsam“) nannte und dessen Ziel es war, Milosevic so schnell wie möglich zu stürzen. Obwohl Pressezensur und Wahlmanipulationen andauerten, errang „Zajedno“ bei den nächsten Wahlen am 3. November 1996 einen großen Erfolg. Milosevic blieb zwar an der Macht. Aber landesweit lag „Zajedno“ bei 23,8 Prozent der Stimmen. Und in der – anders als in weiten Teilen des Landes – von aufgeklärtem Bürgertum geprägten Hauptstadt Belgrad holte „Zajedno“ sogar die Mehrheit. Damit stand dem Wahlbündnis von Djindjic und Draskovic das Amt des Oberbürgermeisters zu. Milosevic ließ die Wahl jedoch mit einem manipulierten Gerichtsbeschluß kurzerhand für ungültig erklären, worauf die Belgrader auf die Straße gingen. Von Anfang November 1996 bis zum Februar 1997 fanden täglich Massendemonstrationen statt, die die Anerkennung des Wahlergebnisses forderten. Es waren Demonstrationen gegen das Regime in einer Größenordnung, wie sie die Stadt noch nicht erlebt hat. In den Reden, die Djindjic bei diesen Demonstrationen hielt, bestach er sogar in dieser revolutionären Situation durch rationale Argu-mente und moderates, aber in der Sache bestimmtes Auftreten. Für ein Land, das bis dahin von Politikern bestimmt war, die in ihren Reden am liebsten schimpften und polterten, patri-archalisch Schultern klopften, ihre Wähler mit billigem Schnaps abfüllten und sie aus alter Gewohnheit Kampf-Duzten, war Zoran Djindjic auch ein großer Lehrer für politische Kultur. Nach 75 Tagen ununterbrochener und mit Ausnahme von Übergriffen der serbischen Polizei friedlichen Demonstrationen, die international hohe Aufmerksamkeit erfuhren und für inter-nationalen Druck auf Milosevic sorgten, wurde die Wahl anerkannt und Zoran Djindjic im Februar 1997 zum ersten nichtkommunistischen Oberbürgermeister von Belgrad seit 1945 ernannt. Als erste Amtshandlung ließ Djindjic den roten Stern, Symbol der jugoslawischen Kommunisten, vom Rathausdach entfernen. Djindjic blieb nur 7 Monate im Amt, denn das Oppositionsbündnis mit dem manischen Populisten Draskovic zerbrach sehr schnell. Gleichzeitig war Djindjic zahlreichen Schikanen des Regimes ausgesetzt. Er hatte aber gezeigt, daß der Sturz des „Old-Boys-Network“ der Alt-Kommunisten, Kriegsgewinnler und Kriminellen mit demokratischen Mitteln möglich war. Interessant in diesem Zusammenhang – weil sicherlich vergleichbar mit der Situation in anderen Ländern, die unter Gewaltherrschaft leiden – ist die Strategie, die damals in Belgrad erstmals zum Erfolg führte.
Djindjics Politik gegenüber dem Westen
Das außenpolitische Fiasko des Milosevic-Regimes wurde für einen Großteil der Serben nach dem 1995 erzwungenen „Friedensschluß von Dayton“ offenbar. Nach dem Scheitern der Friedenspolitik der UN und der Europäischen Union im Bosnienkonflikt erzwangen die USA und ihre Nato-Verbündeten durch mehrtägige Bombenangriffe auf serbische Stellungen in Bosnien und gleichzeitigem diplomatischen Druck auf die bereits in den Jahren zuvor mit US-Hilfe aufgerüsteten zwei anderen Kriegsparteien der Kroaten und der bosnischen Muslime alle Seiten an den Verhandlungstisch. Das Friedensabkommen von Dayton/Ohio, das den Bosnienkrieg dauerhaft beendete, führte zu einem aus Sicht aller bisherigen Milosevic-Anhänger sehr unvorteilhaftem Ergebnis. Alle serbischen Gebiete in Kroatien blieben dauerhaft Staatsgebiet Kroatiens, alle serbischen Gebiete in Bosnien Teil des Bosnischen Staates. Was weder das UN-Embargo gegen Serbisch-Rest-Jugoslawien noch der rapide Verfall der serbischer Wirtschaft als Folge des Krieges geschafft hatten, trat erstmals ein: ein Stimmungsumschwung zuungunsten des Regimes. Djindjic schaffte es, mit Hinweis darauf, daß seine Politik einer Annäherung an den Westen den Serben mehr Nutzen bringe als eine Konfrontation, zumindest gebildetere Kreise der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Ganz ähnlich wie die Oppositionsbewegungen gegen die osteuropäischen Kommunisten 1989/90 setzte Djindjic auf einen gewaltlosen Wechsel, obwohl er es mit einem durch Krieg und Geheimdienstmorde vergleichsweise abgebrühtem Regime zu tun hatte. Er tat dies auch aus pragmatischen Gründen. Seine überwiegend bürgerlichen Unterstützer in den Großstädten wären einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Regime schwerlich gewachsen gewesen. Außerdem hätte Djindjic damit sein wichtigstes Ziel, Serbien zu einer friedlichen, pluralistischen Demokratie umzugestalten, bereits im Keim erstickt. „Erziehung zur Demokratie“ war sein wichtigstes Anliegen, ein undemokratischer Machtwechsel hätte es unglaubwürdig gemacht. Außerdem setzte Djindjic von Anfang an auf die politische und finanzielle Unterstützung der westeuropäischen Demokratien, die er durch willkürliche Gewaltmaßnahmen aufs Spiel gesetzt hätte. Nach Djindjics erstem Wahlerfolg 1996/97 war es auch der diplomatische Druck der „Apeasement“-Politiker Westeuropas, der Milosevic zum Einlenken bewegte. Insbesondere die deutsche und die französische Regierung hatten nach dem vorläufigen Kriegsende 1995 wieder intensive Kontakte nach Belgrad geknüpft. 1996 reiste der damalige Bundes-außenminister Klaus Kinkel zu Milosevic und rühmte sich hinterher, dem Diktator gute Tips gegeben zu haben, wie er sein angeknackstes Ansehen im Westen wieder verbessern könne. Gnädig sah man dabei über die schrecklichen Massaker hinweg, die die von Belgrad aufgerüstete serbische Bürgerkriegsarmee in Bosnien zuletzt erst 1995, zum Beispiel im ostbosnischen Srebrenica, angerichtet hatte. Dort waren etwa 8000 moslemische Männer von der Armee der „Serbska Republika“ unter Ratko Mladic gefangengenommen, in Fußballstadien ermordet und mit Bulldozern in Massengräbern verscharrt worden. Es war der größte Fall von Völkermord in Europa außerhalb der Sowjetunion seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Wer hatte recht: Die Falken oder die Tauben?
Die Politik der „Tauben“, mit einer verständnisvollen Politik gegenüber dem Milosevic-Regime einen Wandel zu bewirken, darf dennoch heute als schrecklicher Fehler des Westens bezeichnet werden. Der Diktator verstand sie als Freibrief für weitere „Feldzüge“ gegen die nationalen Minderheiten Ex-Jugoslawiens. Milosevic brauchte innenpolitische Erfolge und entschloss sich, dafür den in weiten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Haß auf die albanische Minderheit in Serbien zu nutzen. Die meisten der über 2 Millionen Albaner des 10-Millionen-Landes Serbien leben im Kosovo, einem Gebiet, das völkerrechtlich Teil Serbiens ist. Sie stellen dort die übergroße Mehrheit. Gleichzeitig ist die Region Kosovo aber geschichtlich das Stammland der serbisch-orthodoxen Kirche und daher eng mit der serbischen Geschichte verbunden. Ermuntert durch die schrittweise Auflösung der internationalen Isolation seines Regimes entschloss sich Milosevic, gegen die seit zwei Jahr-zehnten von Belgrad ohnehin unterdrückte und nunmehr immer aufständischere albanische Minderheit im Kosovo mit härtesten Mitteln vorzugehen. Irreguläre serbische Privat-Armeen, darunter die „Tiger“ des Kriminellen Arkan Raznatovic und die „Weißen Adler“ des Exremistenführers Vojslav Seselj bekamen freie Hand für Pogrome gegen die Kosovo-Albaner. Von staatlicher Seite kamen weitere Schikanen hinzu. Krankenhäuser und die Universität im Kosovo durften keine Albaner mehr aufnehmen. Die letzten Albaner flogen aus dem Polizei- und Staatsdienst bzw. wurden in Staatsbetrieben diskriminiert. Erst das „Massaker von Racak“ schreckte den Westen erneut auf. Die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, entsandte etwa 2000 „OSZE-Beobachter“ in die Region. Gleichzeitig wurden, legimitiert durch eine UN-Resolution, Truppen verschiedener westlicher Länder im Nachbarland Makedonien stationiert, nicht etwa um die Kosovo-Albaner zu schützen, sondern um im Konfliktfall die 2000 OSZE-Beobachter aus dem Kosovo zu evakuieren. Das internationale Aufgebot konnte aber weder das Ende der Verfolgung von Kosovo-Albanern durch das serbische Regime erreichen, noch verhindern, daß paramilitärischen Gruppen der Kosovo-Albaner, insbesondere der „UCK“ ebenfalls Waffengewalt gegen Serben im Kosovo anwandten.
Zoran Djindjics Taktieren im Kosovo-Krieg 1999
Erst jetzt begann die Nato auf Drängen der USA als Gegenmaßnahme den Luftkrieg gegen Serbien. Ein Bombardement „strategischer Ziele“ in ganz Serbien sollte Milosevic zwingen, seine Truppen abzuziehen und Kosovo unter internationale Kontrolle zu stellen. Für Zoran Djindjic begann die schwierigste Zeit seiner politischen Karriere. Der Angriff der Nato auf Rest-Jugoslawien bewirkte eine Solidarisierung der Bevölkerung mit dem Regime. Bei der Milosevic-Führung sowie weiten Teilen der Bevölkerung fielen nun auch alle moralischen Schranken. Zu Ostern 1999 begannen serbische Guerilla-Truppen, systematisch alle albanischen Häuser im Kosovo zu durchkämmen. Sie trieben die Bewohner auf die Straßen, be-mächtigten sich aller auf die Schnelle auffindbaren Wertsachen in den Häusern, und überließen diese dann serbischen Nachbarn und einer im Kosovo ebenfalls beheimateten Roma-Minderheit zur Plünderung. Anschließend trieben sie die Bevölkerung mit vorhaltender Ma-schinenpistole zum Abtransport. In der Hauptstadt Pristina, wo allein 150 000 Kosovo-Albaner lebten, schaffte man die albanischen Bewohner zum Bahnhof. Dort wurden sie in bereitstehende Züge gepfercht und erst am kleinen Bahnhof „General Jankovic“ an der Grenze zu Makedonien hinaus gelassen, von wo man sie in Richtung Grenze scheuchte. Mehrere hunderttausend Kosovo-Albaner wurden auf diese Weise deportiert. Viele starben auf dem Transport oder im Chaos ihres tagelangen Ausharrens in der hochgelegenen und eiskalten Grenzregion. In ländlichen Gebieten des Kosovo kam es zu noch schlimmeren Übergriffen. Zoran Djindjic und der ebenfalls um Annäherung an den Westen bemühte Präsident der kleinen jugoslawischen Teilrepublik Montenegro, Milo Djukanovic hatten wegen der Nato-Bombenangriffe bei der serbischen Bevölkerung einen schweren Stand. Sie gerieten bei der ohnehin durch die Propaganda desinformierten und von den Angriffen berechtigterweise erzürnten Bevölkerung noch stärker in den Verdacht, Agenten des Westens zu sein. In den ersten Wochen des NATO-Bombardements auf Jugoslawien, als zunächst vor allem rein militärische Ziele angegriffen worden waren, war Djindjic noch bemüht, weiter Bündnisse gegen Milosevic zu schmieden, mit Oppositions-Parteien in Serbien und mit Djukanovic. Das nutzte zwar seinem Ansehen im Westen, innenpolitisch jedoch kostete es ihn fast alle Sympathien. Als dann nach zwei Monaten, etwa Mitte Mai 1999, die USA und ihre Nato-Verbündeten begannen, auch die Infrastruktur der serbischen Großstädte und Industrieanlagen zu zerstören, tauchte Djindjic ab. Nicht in das westliche Ausland, denn das hätte seinen Ruch, ein „bezahlter Agent“ zu sein, noch verstärkt, sondern in die Stille der Bergwelt der kleinen, von seinem Verbündeten Djukanovic teilweise kontrollierten jugoslawischen Teilrepublik Montenegro.
Als schon alle wichtigen Gebäude der Belgrader Ministerien, die Strom- und Wasserversorgung der Stadt, Schlüsselindustrien wie die Waffen- und Autofabrik „Zastava“ in Kragujevac und viele wichtigen Straßen-, Bahn- und Autobahnverbindungen Serbiens zerstört und zwischen 1000 (US-Angaben) und 5000 (YU-Angaben) zivile Opfer in Serbien zu beklagen waren, lenkte Milosevic Anfang Juni 1999 plötzlich ein. Er zog alle seine Truppen aus Kosovo ab, stimmte einem internationalen Protektorat, wie es dort heute existiert, zu. Offenbar hatte er erst jetzt, nach fast drei Monaten Bombenkrieg, jede Hoffnung verloren, ohne ein Einlenken den Konflikt politisch und physisch zu überleben. Die „Falken“ unter den westlichen Politikern hatten gewonnen. Doch den letzten Schritt, einen gewaltsamen Sturz des Belgrader Regimes, der wahrscheinlich einen Einmarsch erfordert hätte, vollzogen sie nicht.
Djindjic und der Sturz des Milosevic-Regime
Schon wenige Monate nach dem Friedenschluß vom Juni 1999 war vom Kosovo-Konflikt in Serbien nicht mehr die Rede. Eine große Mehrheit der Bevölkerung hatte sich damit abgefunden, daß die Region, die die meisten Serben nie mit eigenen Augen gesehen hatten, für Serbien ohnehin verloren sei. „Besser eine abgehackte Hand, als Wundbrand im ganzen Körper“, war eine vielgehörte Devise. Das wirtschaftliche Fiasko des Landes und aller seiner Bewohner rückte wieder in den Vordergrund. Siegesgewiß war Djindjic wieder allgegenwärtig, im eigenen Land wie in Westeuropa. Vom Krieg redete er nicht mehr, sondern von der Zukunft für Serbien, der Milosevic Schaden zufüge. Man benötige Hilfe aus dem Westen, um Serbien nach Europa zu führen, das serbische Volk sei jetzt reif dafür. Sein offenbar jeder traurigen Realität die Stirn bietende Zweckoptimismus war wieder da. Vor den jugoslawischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 schmiedete Zoran Djindjic erfolgreich ein neues, großes Bündnis fast aller Oppositionsgruppen, das sich „Demokratische Opposition Serbiens“ (DOS) nannte. Eingedenk der Tatsache, daß er selbst auf-grund seiner ambivalenten Haltung zum Kosovo-Konflikt und seiner bekannten Nähe zum Westen unnötig polarisieren könne, besaß er die Größe, auf die Spitzenkandidatur zu verzichten und stattdessen dem Chef einer anderen Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Serbiens, DSS, Vojislav Kostunica, den Vortritt zu lassen. Als Karriere-Jurist und Professor der Belgrader Universität war Kostunica eine zweifelhafte Erscheinung. 1990 war er zunächst zusammen mit Djindjic einer der Gründer der „Demokratischen Partei“ DS, bevor sich die beiden im Streit trennten. Damals ging es um die Frage, ob ehemalige kommunistische Funk-tionäre in der Partei eine Rolle spielen dürften. Kostunica befürwortete das, Djindjic war strikt dagegen. Sonst immer sehr diplomatisch, ließ Zoran Djindjic in einer schwachen Stunde einmal in einem Interview heraus, was er von seinem Verbündeten und Widersacher hielt: „Mit Herrn Kostunica habe ich überhaupt keinen Konflikt, denn wir haben überhaupt nicht die selbe Wellenlänge. Ich versteh ihn nicht, er versteht mich nicht. Und darin sind wir uns blendend einig.“
Die Wahlen im September 2000 wurden zur Revolution. Im Vorfeld zog sein Gegner zunächst noch einmal alle Rgister: Wahlfälschung, Pressezensur und politischer Mord. Wenige Wochen vor der Wahl traf es Ivan Stambolic, in den 80er Jahren Vorsitzender der Kommunistischen Partei Serbiens und damals großer Förderer seines Nachfolgers Milosevic. Stambolic hatte sich bei den Wahlen für einen Sturz Milosevics ausgesprochen. Bei einem Spaziergang nahe seines Hauses im Belgrader Nobelviertel Dedinje verschwand er spurlos. Seine Leiche wurde im März 2003 in einer Kalkgrube in der Nähe von Novi Sad gefunden. Als Mörder gelten heute dieselben Leute, die später Zoran Djindjic zum Verhängnis wurden. Als mögliche Auftraggeberin wird derzeit die Frau von Slobodan Milosevic, Mira Markovic per internationalem Haftbefehl gesucht. Trotz allem errang DOS, das von Djindjic geformte Wahlbündnis im September 52% der Stimmen für Kostunica, gegenüber 35% für Milosevic, der die Wahl nicht anerkannte. Die von ihm kontrollierte Bundeswahlkommission verkündete ein Wahlergebnis, das eine Stich-wahl erfordert hätte. Darauf ordnete das ebenfalls von Milosevic kontrollierte Jugoslawische Verfassungsgericht eine Wiederholung der Wahl an. Doch dazu kam es nicht mehr. Djindjic und seine Verbündeten organisierten erneut Massendemonstrationen, die eine Anerkennung des Wahlergebnisses forderten. Ganz ähnlich wie einst im Oktober 1989 in der DDR fanden sie immer mehr Zulauf. Und ganz ähnlich war ein Großteil der Büttel des einstigen Regimes von einem Tag auf den anderen nicht mehr gewillt, sein Leben für den Diktator zu riskieren. Am 5. Oktober 2000 stürzte binnen weniger Stunden das Regime. Demonstranten stürmten das Parlament, das staatliche Fernsehgebäude, die Polizeiwachen der Belgrader Innenstadt. Bereits am nächsten Morgen waren aus dem einstigen Staatsfernsehen, den noch am Vortag vom Regime kontrollierten Zeitungen und selbst im ehemaligen kommunistischen Zentralorgan „Borba“ ganz neue Töne zu vernehmen. So wie Ende Oktober 1989 von einem Tag auf den anderen das DDR-Fernsehen verkündet hatte, nunmehr „objektiv“ Bericht erstatten zu wollen, schwenkten alle einstige Erfüllungsgehilfen des Milosevic-Regimes schlagartig auf Oppositionskurs.
Am 7. Oktober wurde DOS-Kandidat Kostunica als jugoslawischer Präsident vereidigt. Im gleichzeitig gewählten jugoslawischen Parlament übernahm eine Übergangsregierung der vormaligen Oppositionsparteien die Macht. Milosevic zog sich zunächst unbehelligt in seine Villa im Belgrader Nobelviertel Dedinje zurück. Serbien war von einer großen Auf-bruchsstimmung erfüllt. Zoran Djindjic nutzte das. Am 23. Dezember 2000 organisierte er vorgezogene Wahlen zum Parlament der Serbischen Teilrepublik Jugoslawiens. Diesmal mit ihm als Spitzenkandidat. Die DOS erzielte 64,1 Prozent. Djindjic wurde zum ersten nicht-kommunistischen Premierminister Serbiens seit 1945 ernannt. Durch die faktische Auflösung des gegenstandslos gewordenen Rumpfstaates Jugoslawiens konnte er auch seinen Widersa-cher Kostunica ausschalten, auch wenn er zunächst diplomatisch verkündete, am Bundesstaat festhalten zu wollen.
Zoran Djindjics Kampf als Premier Serbiens
In seiner Antrittsrede beschrieb Djindjic die Lage seines Landes als dramatisch, was zweifellos der Realität entsprach. Serbien sei in jeder Hinsicht das Schlußlicht der Entwicklung in Europa, grundlegende politische und wirtschaftliche Reformen seien nötig. Es war eine „Blut, Schweiß und Tränen”- Rede, mit der er sein Volk psychologisch auf harte Einschnitte vorbereiten wollte. Das bis dahin leidgeprüfte serbische Volk konnte solche Einstimmung brauchen, denn mit dem Machtwechsel in Belgrad hin zu einer vernünftigen Regierung war damals auch das internationale Interesse an der Region schlagartig erloschen. Abgeschrieben waren die vielen Milliarden DM und Dollar, die der Krieg gegen das Milosevic-Regime und die Stationierung von UN- und Nato-Truppen auf dem Balkan verschlungen hatten. Verhandlungspartner für die Djindjic-Regierung waren nun nicht mehr, wie einst unter Milosevic, Präsidenten und Außenminister der wichtigsten Länder der Erde. Bei einem seiner ersten Staatsbesuche im Westen drang der serbische Premier im März 2001 in Berlin nur bis ins Büro der Amtsträgerin des „Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit“ Heidema-rie Wieczorek-Zeul (SPD) vor, wo sich ansonsten eher die Botschafter von Dritte-Welt-Ländern die Klinke in die Hand geben. Dort wurden ihm Hilfen in Höhe von gerade einmal 100 Millionen DM in Aussicht gestellt. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer, letzterer mit Djindjic freundschaftlich verbunden, soweit das in solchen Kreisen möglich ist, hatten jedoch ebenfalls Zeit für ihn. Bei anderen einstmals Interessierten im Westen blieb Djindjic noch mehr ein Bittsteller: In Paris, in London, in Washington. Überall bettelte er um westliche Investitionen für sein Land. Überall bekam er nur Almosen. „Wir sind ein ausgebeutetes, ein armes Land: acht Jahre Isolation, acht Jahre Sanktionen, acht Jahre Kriminalität, Mafia, acht Jahre Ausplünderung von einer Interessengruppe an der Regierung und ohne Geldreserven und überhaupt ohne Reserven für eine Entwicklung. Wir sind bereit, uns den strengen Bedingungen für demokratische Prozeduren zu stellen. Aber wir hoffen, daß wir wirtschaftliche Hilfe bekommen – wenigstens für die erste Phase.“- so Djindjic. Die „acht Jahre“ bezogen sich auf die Zeit zwischen dem Beginn des Bosnien-Kriegs 1992 und der Re-volution im Jahr 2000. Einen Bezug auf die Zeit des Tito-Kommunismus bis 1980 oder des Niedergangs desselben bis 1990 vermied er, weil er, im Gegensatz zu seiner Position als Op-positioneller 1990, hoffte, möglichst viele „geläuterte“ Parteigänger der Kommunisten oder Milosevics für sich zu gewinnen. Pragmatische Machtpolitik, wie sie ihn immer auszeichnete und oft gleichzeitig diskreditierte.
Innenpolitisch versuchte Premier Djindjic, die wesentlichen Parteigänger des Milosevic-Regimes mit einer harten Personalpolitik schnell zu entmachten, was ihm nur zum Teil gelang. Die Führungsleute bei den Geheimdiensten, im Innenministerium, im Bereich der Justiz waren schnell ausgewechselt. Doch die mittleren Kader blieben und mit ihnen blieb die Korruption, die Grauzone zwischen organisiertem Verbrechen und Sicherheitsapparat. In einer völlig ruinierten Gesellschaft, nach Kommunismus, Hyperinflation und Krieg, die faktisch die gesamte Inlandsproduktion mit Ausnahme von Ackerbau und Viehzucht zerstörten und alle Arbeitnehmer und einen Großteil der Unternehmer des Landes an den Bettelstab gebracht haben, nährt sich der ehrenwerte Teil des serbisches Volkes bis heute noch von genau zwei Einnahmequellen: den Millionen fleißiger serbischer Gastarbeiter im Rest der Welt, die ihr Geld zu ihren Familien nach Hause überweisen und den um das eigene Überleben kämpfenden „Ameisen-Händlern“, die in billigen, überfüllten und nach Zigarettenrauch und Schnaps stinkenden Überlandbussen nachts massenhaft nach Budapest, Szeged, Athen, Bukarest, Graz, Wien, Bratislava oder München reisen, um dort günstig wechselnde Waren aus überwiegend dunklen Quellen zu erwerben, die für das Gastarbeiter-Geld in Serbien teurer absetzbar sind.
Eine Analyse der Weltbank vom Juni 2001, die Serbien wie einen afrikanischen Problemfall behandelte, kam zu dem Ergebnis, daß das Land bei einer Auslandsverschuldung von 14 Milliarden US-Dollar in den nächsten vier Jahren mindestens 4 Milliarden US-Dollar an Auslandshilfe benötige. Der IWF genehmigte daraufhin 249 Millionen US-Dollar „Beistandskredit“. Ein Rahmenabkommen mit der Europäischen Union sicherte bis zum Jahr 2006 weitere 2,5 Milliarden US-Dollar zu. Angesichts der Gelder, die der Balkan-Konflikt bis heute ansonsten verschlingt, eine lächerliche Summe. Allein die Friedenseinsätze in Bosnien und im Kosovo, die zweifellos der dortigen Bevölkerung ein Leben unter berechenbaren Verhältnissen ermöglichen, kosten der Weltgemeinschaft etwa je 10 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Der Bombenkrieg von Ende März 1999 bis zum 10. Juni 1999 dürfte weitere etwa 20 Milliarden Dollar verschlungen haben und die bis zu einer Million Bürgerkriegsflüchtlinge, die sich zwischen 1991 und bis etwa zum Jahr 2000 in Deutschland aufgehalten hatten, belasteten allein den deutschen Steuerzahler mit schätzungsweise mehr als 50 Milliarden DM – gerechnet 500 Mark pro Person und Monat.
Djindjic- Ein Märtyrer?
Wie Zoran Djindjic trotz des massiven Einflusses rein krimineller und damit verwobe-ner politkrimineller Kreisen seines serbischen Heimatlandes so lange politisch erfolgreich und vor allem am Leben bleiben konnte, scheint ein Rätsel zu sein. Was ihm letztlich fehlte und zu seiner Ermordung führte, ihn aber auch gerade deswegen zu einem Mythos macht, ist, daß er sich davor scheute, mit diesen Kriminellen in ihrer eigenen Sprache abzurechnen. In einem schwierigen Umfeld war es ihm nicht möglich, immer die „reine Lehre“ von Rechtsstaat, Demokratie und Pluralismus zu vertreten. Aber er hat sich immer – aus rein ethischen Moti-ven heraus – darum bemüht. Seine Schüler und Nachfolger haben am Tag nach seiner Ermor-dung am 12. März 2003 den unbefristeten Ausnahmezustand über Serbien ausgerufen, der bis zum 23. April anhielt. Seitdem wurden mehr als 8000 Personen in Serbien verhaftet, ohne daß sie Kontakt zu einem Rechtsbeistand oder zu Angehörigen haben zu dürfen, was wiederum Menschenrechtsorganisationen auf den Plan rief. Etwa 2000 Personen befinden sich noch in Gewahrsam. Die mutmaßlichen Attentäter, Angehörige der ehemaligen Sicherheitsorgane des Milosevic-Regimes, wurden festgenommen, zwei weitere bei ihrer Festnahme erschossen. Gegen Mira Markovic, die Frau Milosevics, ist internationaler Haftbefehl erlassen worden und es laufen Ermittlungen gegen enge Vertraute des Jugoslawischen Ex-Präsidenten. Tage des Zorns scheinen über Serbien hereingebrochen zu sein und Zoran Djindjics Vertraute sind die Vollstrecker. Djindjic selbst hätte an ihrer Stelle wahrscheinlich nicht anders gehandelt und die Situation pragmatisch ausgenutzt, um seine Ideen voranzubringen. Als er am 28. Juni 2001 Slobodan Milosevic an das internationale Kriegsverbrechertribunal auslieferte, und sich damit im eigenen Land viel Feindschaft einhandelte, argumentierte er mit der einst von dem einstigen serbische KP-Chef Milosevic geschaffenen serbischen Verfassung: In einem von Milosevic selbst erlassenen Paragraphen heißt es, daß jugoslawisches Bundesrecht, laut dem die Auslieferung jugoslawischer Staatsbürger an das Ausland untersagt ist, außer Kraft gesetzt werden kann, wenn es der Allgemeinheit dient. Djindjic argumentierte, er habe mit der Aus-lieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Serbien vor finanziellen Sanktionen der inter-nationalen Staatengemeinschaft bewahrt.
Zoran Djindjic hat trotz der ihn umgebenden feindlichen Atmosphäre immer sehr viel Wert auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gelegt, zuletzt auf Kosten seines eigenen Lebens. Sein Beispiel zeigt, wie pragmatische Politik zugunsten einer Entwicklung hin zu einer pluralistischen Demokratie selbst unter den ungünstigen Voraussetzungen der postkommu-nistischen Gesellschaften Osteuropas aussehen kann. Ob seine politischen Erben dieses Ver-mächtnis erfüllen können, wird die Zukunft zeigen.