Alle Beiträge von GPraschl

Journalist in Berlin, Mitglied der Chefredaktion/Politik von SUPERillu, http://geraldpraschl.de/?page_id=2

Schicksalsmoment 1989: Wie die Montagsdemos ins West-Fernsehen kamen

Ihre Namen stehen (bis jetzt) nicht im Geschichtsbuch. Aber ohne sie hätte es die Wende in der DDR 1989 vielleicht nicht gegeben. Wie die Montagsdemos 1989 ins West-Fernsehen kamen. Und die atemberaubende Geschichte dahinter: Die Story von Siegbert Schefke (links)  und seinem Mitstreiter Aram Radomski (rechts).

Ganz Deutschland starrt gebannt auf die Bilder, die die ARD-Tagesthemen am 10.Oktober 1989 ausstrahlen: 70 000 Demonstranten auf dem Marsch durch Leipzig, und ihr Sprechchor, der die Stadt erbeben lässt: “Wir sind das Volk”. Aufnahmen von der Leipziger Montagsdemo einen Tag zuvor. Erstmals können Millionen DDR-Bürger via West-Fernsehen sehen, was ihnen die SED Führung verheimlicht: dass der Widerstand gegen die Diktatur zu einer Massenbewegung geworden ist. Ermuntert dadurch gehen nun Menschen im ganzen Land auf die Straße – das Signal zum Sturz des SED-Regimes.

Die Bilder stammen von zwei jungen DDR-Bürgern: Aram Radomski und Siegbert Schefke aus Ost-Berlin.

Siegbert Schefke, geboren 1959 in Eberswalde, hat eigentlich keine sehr typische »Widerstandsbiographie«. Nach einer Lehre zum Baufacharbeiter mit Abitur absolviert er anders als die meisten, die später zu »Bürgerrechtlern« werden, seinen regulären Grundwehrdienst, bekommt die Zulassung zu einem Studium an der Hochschule für Bauwesen in Cottbus. Nach dem Studienabschluss ist er ab 1985 als Bauleiter beim Wohnungsbaukombinat Berlin tätig, das damals im Osten der Hauptstadt große Neubaugebiete errichtet.

SAT1 Filmpremiere "Wir sind das Volk" im Kino Kosmos Siegbert Schefke (links) und Aram Radomski Berlin 24.09.2008 Foto: Nikola Text: Praschl
SAT1 Filmpremiere “Wir sind das Volk” im
Kino Kosmos
Siegbert Schefke (links) und Aram Radomski
Berlin
24.09.2008
Foto: Nikola
Text: Praschl

Er führt dort ein Doppelleben. Von 9 bis 15 Uhr wirkt er beim „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. Die Mittagspausen, die er zu Telefonaten mit dem nach West-Berlin ausgebürgerten Bürgerrechtler Roland Jahn nutzt, werden mit der Zeit immer ausgedehnter. Nach Feierabend engagiert er sich für die Ost-Berliner Umweltbibliothek, die seit 1986 zum Treffpunkt und zur Schaltzentrale der DDR-Opposition wird.

Lange geht das nicht gut. Bereits seit 1985 hat er Reiseverbot, darf, wie die meisten Oppositionellen, die DDR nicht mehr verlassen. Das Regime will damit vor allem Kontakte von DDR-Bürgerrechtlern mit der polnischen Solidarnosc und der tschechischen Oppositionsbewegung Charta 77 erschweren. Im Januar 1987 stellt ihn sein Chef beim Wohnungsbaukombinat wieder einmal zur Rede, nachdem Schefke als Teilnehmer einer Oppositionsveranstaltung in Pankow aufgefallen war. Der letzte Auslöser für Schefke, seinen Job, den er schon lange für Zeitverschwendung hält, zu kündigen. So wird er zum »Vollzeit-Revolutionär«. Ist Mitorganisator oppositioneller Konzerte in der Zionskirche. Im Keller der Umweltbibliothek entstehen illegale Untergrundzeitungen wie der »Grenzfall«  oder der »Moaning Star« und die legalen, als »kirchenintern« deklarierten »Umweltblätter«. In einem Land, in dem sämtliche Medien vom Regime kontrolliert und zensiert werden, sind diese kleinauflagigen Postillen zwar kein Leuchtturm der Pressefreiheit, aber doch immerhin eine Kerze im Sturm.

Über die West-Medien wollen Schefke und seine Mitstreiter mehr Menschen in der DDR erreichen, als das mit diesen Samisdaten möglich ist. Zunächst mit selbstgemachten Radio-Sendungen, die sie umständlich in Ost-Berlin produzieren, auf Kassette in den Westen schmuggeln und dort jeden letzten Montag im Monat als Sendung »Radio Glasnost« auf einem West-Berliner Privatsender ausstrahlen – empfangbar auch im Osten. Noch weit mehr DDR-Publikum erreichen Filme, die Schefke und Radomski mit Hilfe von aus dem Westen eingeschmuggelten Video-Kameras drehen und die via West-Fernsehen in der DDR ein Millionenpublikum erreichen. Die illegalen Drehs sind riskant, die Themen brisant: die Umweltzerstörung im Braunkohlerevier von Espenhain, der Verfall der ostdeutschen Innenstädte wie in Halberstadt. Für den Fall ihrer Verhaftung haben sie im sicheren Westen vorbereitete »Bekenner-Videos« hinterlegt. Doch die kommen nie zum Einsatz. Die Stasi überwacht die Untergrund-Journalisten zwar mit Spitzeln, Sabotage und offener Beschattung, verhaftet sie aber nicht. Ob aus Furcht vor Protestaktionen des Westens, von dem die DDR zunehmend finanziell abhängig ist. Oder schlicht, weil die Stasi-Offiziere, die den »Operativen Vorgang Satan« gegen Schefke und seine Mitstreiter führen, die Wirkung der Revolutionäre mit der Fernsehkamera unterschätzen. Am Tag nach der Montagsdemo von Leipzig, als Schefkes TV-Aufnahmen zum Zündfunken der Revolution werden, sind sie eines besseren belehrt.

 

Kuba 2008 – Fidel. Frust. Und Flucht.

erschienen in SUPERillu Heft 34/2008.

Dem normalen deutschen Urlauber scheint Kuba wie ein kleines Paradies. Und das zum Schnäppchenpreis. 14 Tage unter Palmen im Badeort Varadero einschließlich Flug und»all inklusive« gibt es ab 1164 Euro pro Person. Das von der Außenwelt weitgehend abgeriegelte Ferienressort hat einen herrlichen Strand, saubere Straßen, schöne Restaurants und viele Shopping-Möglichkeiten. Dank totaler Überwachung gibt es hier auch kaum ein Problem mit Taschendieben oder Nepp am Straßenrand. Unter den ungefähr 200 deutschen Touristen, die an diesem Freitag mit einer Direktmaschine aus Deutschland hier landen, falle ich glücklicherweise erst einmal nicht auf.

Weil die kubanische Stasi westliche Journalisten entweder gar nicht ins Land lässt oder dort extrem überwacht, reise ich als Tourist. Ich und mein Kollege, der Superillu-Fotograf Nikola Kuzmanic haben nur zwei kleine unauffällige Fotoaparate dabei. Visitenkarten, Presseausweise und mein Adressbuch blieben auch daheim. Nur ein paar Telefonnummern habe ich auf Zettel notiert, und im Gepäck versteckt: von der deutschen Botschaft – für den Fall, dass wir Probleme mit den »Genossen « von der kubanischen »Sicherheit « bekommen. Und von einigen Kontaktleuten, die uns ein paar Tage über die Insel begleiten könnten.

Ich muss vorsichtig sein. Nicht, weil ich selbst Angst vor der kubanischen Stasi hätte. Mein westlicher Pass schützt mich. Mehr als uns ein paar Stunden festhalten, können sie nicht. Oder mich des Landes verweisen, wie das im Jahr 2005 dem sächsischen CDU-Politiker Arnold Vaatz passiert ist, als der sich mit kubanischen Oppositionellen treffen wollte. Aber meine Gesprächspartner und Dolmetscher auf Kuba sind durch mich in Gefahr: Zusammenarbeit mit ausländischen Journalisten ist dort eine schwere Straftat. Nicht wenige Kubaner, deren einziges »Vergehen « es war, Berichte für ausländische Medien über die Zustände auf Kuba zu liefern, sitzen im Gefängnis.

Die letzte Verhaftungswelle lief im Jahr 2003.

Damals ließ Castro 75 friedliche Oppositionelle zu bis zu 28 Jahren Gefängnis verurteilen. 58 davon sitzen noch. Um das Risiko so klein wie möglich zu halten, habe ich den meisten meiner Gesprächspartner auf Kuba gar nicht erzählt, wer ich bin. Außerdem habe ich in dieser Reportage einige Vornamen und Ortsnamen verändert, um die Menschen zu schützen. Anders als Erich Honecker, der sich aus Furcht vor Sanktionen aus dem Westen, von dem er spätestens seit Anfang der 80er Jahre zunehmend wirtschaftlich abhängig war, scheute, DDR-Regimegegner wie BärbelBohley oder Robert Havemann längere Zeit einzusperren, verfolgt Fidel Castro seine Gegner gnadenlos. „Er hat die Ereignisse während der friedlichen Revolution 1989 genau studiert. Und weiß, wie gefährlich für ein System der Lüge Bürgerrechtler werden können, die offen aussprechen, was schiefläuft“, sagt der kubanische Oppositionelle Boris Santa Coloma, der seit 1991 im Exil lebt und den ich kurz vor meinem Abflug in Berlin treffe. Santa Coloma kennt das Regime auch vom Schreibtisch der Macht aus. Von Ende der 70er Jahre bis 1990 war er Presseattache der kubanischen Botschaft in der DDR. Sein gleichnamiger Vater fiel beim Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba 1953, Castros erstem, gescheiterten Putschversuch gegen die Batista-Diktatur. Und wird in Kuba bis heute als Held verehrt. Coloma berichtet, dass Castro von seiner Ost-Berliner Botschaft damals detaillierte Berichte über den genauen Verlauf der friedlichen Revolution in der DDR anforderte. „Er hat daraus gelernt. Auf Kerzen und Gebete ist er vorbereitet“, ist sich Santa Coloma sicher. „Das war einer der Gründe, wieso er an der Macht blieb, als der Sowjetkommunismus stürzte.“

Nicht Kerzen und Gebete, aber Blumen und Gebete sind die Ausdrucksformen der kubanischen Oppositionsgruppe „Damas de Blanco“, der „Damen in Weiß“. Es sind die Frauen der inhaftierten Regimegegner. Jeden Sonntag treffen sie sich zur Messe in der katholischen Kirche Santa Rita im Diplomatenviertel von Havanna, Miramar. Die Kirche liegt direkt an der Quinta Avenida, einer Allee gesäumt von Botschafts-Villen. Bis zu seinem Rücktritt im Februar 2008 der tägliche Arbeitsweg von Fidel Castro auf der Fahrt von seinem prächtigen Anwesen im Vorort Siboney zu seinem Amtsitz am Platz der Revolution. Die Protokollstrecke. Am zweiten Tag nach meiner Ankunft bin ich in der Kirche Santa Rita zum Sonntagsgottesdienst. Die Damen sind unschwer zu erkennen. Rund 20 Frauen, mutterseelenallein ganz vorne, in einer der ersten Reihen vor dem Altar. Vor dem Gottesdienst beten sie gemeinsam einen Rosenkranz für die „Presos“, für die Inhaftierten. Eine Szene, die an die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche 1989 erinnert. Vor den Damen sitzt niemand, und hinter ihnen sind gleich ungefähr zehn Sitzreihen frei. Die etwa 500 anderen Gottesdienstbesucher halten „Sicherheitsabstand“. Und es ist auch klar: Unten den 500 Frommen ist nicht nur die eine oder andere Botschafter-Gattin, sondern auch sicher nicht wenige Stasi-Spitzel. Ich und mein Kollege Nikola nehmen zwei Reihen hinter den Damen Platz,gewissermaßen im „Niemandsland“. Einige der Damen drehen sich irritiert um. Ich nehme an, dass ich mit meinen ortsuntypisch blonden Haaren in ihren Augen sofort über jeden Stasi-Verdacht erhaben war. Als wir lächeln, lächeln eine der Damen zurück. Wir haben uns verstanden.

Eine Woche später werden wir die Damen in Weiß auf dem Malecon wiedertreffen, der Meerespromenade von Havanna. Mit Blumen in der Hand, in weißen T-Shirts, die die Fotos ihrer inhaftierten Angehörigen zeigen, ziehen sie auf dem Bürgersteig entlang. Sie gehen mit der illegalen Demo ein großes Risiko ein. Zwei Männer mit Amateurkameras machen Aufnahmen. Es sind (davon darf man ausgehen) keine Stasi-Leute, sondern ebenfalls mutige Oppositionelle, wahrscheinlich Mitarbeiter des Oppositionssenders TV Marti aus Miami. Von US-Territorium und einem US-Militärflugzeug vor der Küste aus strahlt der Sender ein von Oppositionellen gestaltetes Fernseh- und Radioprogramm aus. Eine Kameratruppe, die an die Aktivitäten von Roland Jahn, Siegbert Schefke und Aram Radomski erinnert, die Ende der 80er Jahre mit solchen Aufnahmen, die über das West-Fernsehen fast alle DDR-Bürger erreichten, der Opposition Öffentlichkeit verschafften.

Wie das Westfernsehen in der DDR haben TV Marti und Radio Marti auf Kuba viele Zuschauer und Zuhörer. Die Glaubwürdigkeit der Sender leidet aber darunter, dass sie durch die US-Regierung und ihre Geheimdienst finanziert werden. Zum zweiten wird ihr Empfang anders als damals in der DDR bei ARD und ZDF durch Störsender behindert. Und zum dritten senden die Marti-Macher ein recht nachrichtenlastiges Programm, das oft an den Erwartungen des Zielpublikums, der 12 Millionen Kubaner auf der Insel, vorbeigeht. Fast in jedem Wohnzimmer, in das ich während meiner Reise komme, läuft zwar praktisch von morgens bis abends die „Glotze“. Allerdings gucken die Menschen lieber in Spanien, in Mexiko und auf Kuba produzierte „Telenovelas“ oder Übertragungen von Baseball-Spielen, dem Nationalsport. Und wenn sie das Radio anmachen, möchten sie oft lieber Salsa-Musik statt Probleme hören. Die kubanischen Medien selbst werden vollständig vom Regime zensiert. Das Zentralorgan „Granma“ ist von der ersten bis zur letzten Seite voll mit Jubelmeldungen über den Sozialismus, der Verherrlichung ihrer „Helden“ Che Guevara, Fidel oder Raul und von Hasspropaganda auf die USA. Trotzdem wird das Blatt in Millionenauflage täglich gekauft oder abonniert. Mutmaßlich wegen der „Zweitverwertung“. Toilettenpapier ist eine der großen Mangelwaren auf Kuba.

Die Altstadt von Havanna wird in meinem Reiseführer als »malerisch« beschrieben. Ein Schauplatz großer Geschichte. Im Jahre 1515 gegründet, ist sie eine der ältesten Städte der Neuen Welt. Die Konquistadoren Cortez und Pizarro brachen von hier auf, um die Reiche der Azteken und Inkas zu erobern. Als der deutsche Gelehrte Alexander von Humboldt vor 200 Jahren Kuba erforschte, war das alte Havanna eine prächtige und reiche Stadt voller barocker Kirchen, Paläste und mächtiger Festungsmauern. Nach 49 Jahren Sozialismus ist das historische Zentrum ein Haufen Ruinen voller Trümmer und stinkendem Müll. Die Menschen hier leben in drangvoller Enge. Sogar die Hauseingänge sind zu Wohnungen umfunktioniert. Vier bis fünf Menschen, die sich ein einziges Zimmer teilen, sind keine Seltenheit.

Auf dem Weg in die berühmte Schweinebucht im Süden der Insel komme ich an einer der zahlreichen Polikliniken vorbei. Das viel gepriesene kubanische Gesundheitswesen will ich mir natürlich näher angucken. In der Klinik werde ich sehr freundlich empfangen. Osmel (40), einer der 25 Ärzte hier, führt uns durch alle Räume und zeigt uns die Ausstattung. Ein modernes Röntgengerät. Und Ultraschall. Die Geräte kommen aus China, Kubas neuem »großen Bruder«. Die Chinesen suchen auf Kuba nach Öl. Im Gegenzug liefern sie Reis. Einige tausend Reisebusse. Und medizinisches Gerät. Der OP-Raum hat eine Klimaanlage, die Krankenzimmer haben saubere, neue Betten. Für die Patienten, die im Wartezimmer sitzen, ist die Behandlung hier tatsächlich kostenlos. Sie brauchen auch nichts für eine Krankenversicherung zu bezahlen. Für ein Land der Dritten Welt sicher eine Errungenschaft. Einer der Haken ist, dass die Ärzte nur umgerechnet 20 Euro im Monat verdienen. Viele Mediziner arbeiten deswegen lieber als Taxifahrer oder Kellner in den Touristenregionen, wo sie »schwarz« das Zehnfache verdienen können. „Was kriegen denn die Ärzte bei euch?“, fragt mich Osmel, und ich wage kaum zu erzählen, dass ein junger deutscher Arzt nach dem Studium mit ungefähr 1 800 Euro netto im Monat im Jahr im Krankenkenhaus anfängt. Für die Patienten ist zwar die Behandlung umsonst. Aber die meisten Medikamente müssen sie selbst zahlen. Wer kein Geld hat, der hat Pech gehabt. Und dann gibt es da noch die „internationale Solidarität“, die man auch Menschenhandel interpretieren könnte. Das Castro-Regime bildet seit Jahrzehnten weit über den eigenen Bedarf hinaus Mediziner aus. Alleine 20 000 kubanische Ärzte sind, „ausgeliehen“ vom kubanischen Staat, für geringe Löhne in Venezuela tätig. Im Gegenzug liefert Venezuela unter anderem Öl zu Sonderkonditionen. Als eine weitere große Errungenschaft der Revolution gilt das Schulsystem. Anders als in vielen Ländern Lateinamerikas gehen auf Kuba alle Kinder zur Schule. Es gibt fast keine Analphabeten. Das ist gut. Es fehlen aber immer mehr Lehrer. Gebildete Pauker flüchten ins westliche Ausland. Oder versuchen, am Straßenrand Touristen zu neppen.

Es nervt ungeheuer, als Ausländer dauernd angemacht zu werden.Wir sind noch keine fünf Minuten im Hotel, als uns der erste Kellner unbedingt für 70 Dollar eine Kiste Schmuggelzigarren andrehen will, die er und seine Kollegen im Abstellraum verstecken. Und wenn wir für die Nacht noch eine »Lady« bräuchten, sollten wir ihm gleich Bescheid sagen. Kaum parken wir irgendwo, dauert es oft keine Minute, bis die ersten Dollar-Jäger uns entdeckt haben. „What do you want, Sir? Cigars? Chickas? A private restaurant?“ Zigarren? Prostituierte? Ein privates Restaurant? Nach ein paar Tagen geht mir die penetrante »Hilfsbereitschaft« so auf die Nerven, dass ich beschließe, künftig überhaupt nicht mehr zu reagieren. Das ist gar nicht so einfach. An der Ecke stoppt mich ein Polizist und behauptet, ich wäre verbotenerweise links abgebogen. Was gar nicht stimmt. „Treinta Peso“, fordert er dreist, dreißig Dollar-Peso, ungefähr das Doppelte seines eigenen Monatslohns. Die Tarife kommen mir als gebürtigen Westler irgendwie bekannt vor von der „Interzonen-Autobahn“ (das war bei uns in Bayern in den 80er Jahren damals der gängige Name für die Transit-Strecke von Hof nach West-Berlin). 100 West-Mark für 10 Stundenkilometer zu schnell. Zu zahlen sofort und in bar bei der „Volkspolizei“. Mag sein, dass das Geld damals tatsächlich der DDR-Staatskasse zu gute kam und damit Kindergärten und Schulen finanziert wurden. Aber bei diesem kubanischen Volkspolizisten ist völlig klar, dass er beabsichtigt, sich die begehrten Devisen selbst in die Tasche zu stecken. An dem roten Autokennzeichen meines Mietwagens hat er erkannt, dass es sich bei mir um einen westlichen Touristen handelt, also um einen besonders lukrativen Fall. Nach einer halben Stunde Streit gibt er auf.

Auf einem Parkplatz fordert ein herbeigeeilter alter Mann mit grauen Haaren von mir einen Dollar-Peso. „For looking“, meint er. Für auf das Auto aufpassen. Ich ignoriere ihn einfach. Aber als ich eine Stunde später zurückkomme, sitzt er direkt vor dem Auto mitten in der prallen Sonne und liest Zeitung. Ich gebe auf und drücke ihm den Dollar-Peso in die Hand. Er erzählt, dass er nur ungefähr fünf Euro Rente bekommt. „Bei den Einheimischen, die hier parken, ist nichts zu holen. Aber die Ausländer bringen ein Dollar-Peso pro Auto.“ Ungefähr 20 Dollar-Peso (Pesos convertibles) verdient er damit im Monat. Dafür steht er von morgens bis abends in der Hitze. Er presst die für ihn wertvolle Münze, die ich ihm gerade gegeben habe, zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Blick wird ganz streng: „Ein Liter Milch im Laden kostet bei uns 1,30 konvertible Peso. Ich brauche also noch 30 Cent, dann kann ich mir heute wenigstens Milch kaufen. Ja, mein Freund, das ist hier ein sehr hartes Leben! Wollen wir tauschen?“ Ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil ich den armen alten Mann so herablassend behandelt habe.

Die USA. Traum- und Hassland zugleich. Viele der Menschen, mit denen ich spreche, schimpfen auf die »überheblichen Gringos«. Und die böse CIA. Der Zorn auf das »Imperium«, ohnehin in ganz Lateinamerika sehr stark verbreitet, wird auch vom »Zentralorgan«, der Zeitung »Granma«, und dem kubanischen Fernsehen täglich geschürt. Doch für viele Kubaner sind die USA auch das Land ihrer Sehnsucht nach einem besseren Leben. Etwa die Hälfte hat Verwandtschaft dort, meist in Miami. Anders als in der DDR erlaubt das Regime neuerdings auch vielen Kubanern auszureisen und im Ausland zu arbeiten. In der Hoffnung auf die Devisen, die sie nach Hause schicken. Doch seit Ende der 90er-Jahre, als Hunderttausende über das Meer in das 150 Kilometer entfernte Florida flohen, haben die USA ihre vorher großzügigen Einreiseregeln stark eingeschränkt. Sie wollen nicht noch mehr Flüchtlinge im Land. Wer die gefährliche Passage tatsächlich überlebt, wird heute von der US-Küstenwache wieder in Fidel Castros Reich abgeschoben. Wer keine Verwandtschaft im Ausland hat, hat es auch schwer, ein Visum für ein anderes Land zu ergattern.

Wir treffen Pedro. 29 Jahre alt. Er ist im Jahr 2004 nach Nassau auf die Bahamas ausgewandert, arbeitet dort als Fliesenleger. Anders als in den 90er Jahren, als der einzige Weg nach draußen über ein Floß auf dem Meer führte, konnte er „legal“ ausreisen. Junge Leute, an denen das Regime aufgrund ihrer niedrigen Bildung kein Interesse hat, bekommen neuerdings eine Ausreiseerlaubnis, wenn sie ein Einreisevisum eines anderen Landes vorweisen können. Der Gedanke, der von Castros Seite dahintersteckt ist nicht nur, damit potentielle Aufmüpfige loszuwerden. Sondern auch, dass die „Ausreiser“ ihre in den USA oder anderswo hart verdienten Dollars ja ohnehin zu einem nicht unwesentlichen Teil später nach Hause zur Verwandtschaft überweisen werden. Und das Regime einen erheblichen Teil davon abschöpfen kann. Über zwanzig Prozent Gebühren für den Umtausch von Dollars in Pesos. Und über weit überhöhte Preise für westliche Konsumgüter in den Devisenläden. Pedro ist nur ein paar Wochen in Havanna. Er hat es geschafft, dass die Bahamas seiner Mutter Martha (60) ein Visum ausgestellt haben. Nun will er die kleine Wohnung in der Altstadt von Havanne, die er von dem auf dem Bahamas verdienten Geld für 15 000 Dollar im Jahr 2006 gekauft hat, verkaufen und seine Mutter mitnehmen. Sein Zorn auf Castro ist grenzenlos: „Wir lassen alles zurück und wollen in dieses verfluchte Land hier nie wieder zurück.“ Er träumt davon, in Nassau eine eigene Firma zu gründen. „Das kann ich auf Kuba nicht machen. Hier ist doch sowieso alles verboten.“ Ähnlich wie Pedro haben die meisten Menschen, die ich treffen, von Castro die Nase voll. Mich wundert in den Tagen auf Kuba immer wieder, wie offen die Menschen über diese Dinge mit mir reden, die ich überwiegend zufällig auf der Straße kennenlerne und die mich meist, auch weil sie natürlich an Kontakten zu „Westlern“ interessiert sind, meist schnell in ihre Wohnung einladen. Trotz des Überwachungsapparats, der ähnlich wie in der DDR funktioniert. Eine Offenheit, die ich als Westler, der gelegentlich als politisch interessierter Jung-Tourist in den 80er Jahren Ost-Berlin besuchte, dort nie erlebt habe. Ich hatte Angst, „die“ hatten Angst“. Das war mein Erleben damals. Größere Offenheit so wie jetzt auf Kuba habe ich im ehemaligen Ostblock damals nur in Prag und in Bulgarien Ende der 80er Jahre erlebt, wo die Menschen, die ich traf, mir als Westler gegenüber in aller Öffentlichkeit keinen Hehl aus ihrem Hass auf das kommunistische Regime machten.

Die Schaufenster der Devisen- Läden sind prall gefüllt. Alle Läden gehören den staatlichen Devisenfirmen, meist dem vom Militär kontrollierten Konzern Cimex, der so ähnlich funktioniert wie in der DDR die Intershops. Nur dass es anders als in der DDR auf Kuba praktisch überhaupt keine normalen Läden mehr gibt, in denen man etwas halbwegs Brauchbares für die eigentliche Landeswährung, den Peso Cubano , gibt es eigentlich gar nicht mehr. Nur noch die Tageszeitung des Regimes, ein Mangosaft am Straßenrand. Oder die staatlich verordneten Lebensmittelrationen in den sogenannten Libreta-Läden, die über das ganze Land verteilt, versteckt hinter aus einfachen Brettern genagelten Türen und bröckelnden Fassaden für den Insider an jeder Straßenecke zu finden sind. Was gibt es dort zu kaufen?

Eine interessante Aufgabe, das herauszufinden. Gut, hundertausende von Kubanern arbeiten in diesen Libreta-Läden. Nach ein paar Tagen lernen auch wir einen kenne, der dort hinter dem Tresen steht. lädt uns am nächsten Morgen ein, mal vorbeizuschauen. : „Komm, ich zeig es dir!“ Sorgfältig wiegt er sieben Pfund Reis ab und kippt sie auf den Ladentisch. Dann zwei Pfund weißen Zucker. Und drei Pfund braunen Zucker. Eine kleine Schüssel Erbsen, eine Schüssel Bohnen. Ein Päckchen Kaffee. Seife, eine Zahnpasta. Eine kleine Flasche Speiseöl. Ein bisschen Salz. Und vier Schachteln Zigaretten. Dazu meistens noch fünf Eier. Und ein oder zwei kleine Stücke Fleisch oder Fisch im Monat. Wenn etwas da ist. „Das ist es!“, meint er. „Das hier bekommt ein Kubaner im Monat von Fidel.“

In einem anderen Libreta-Laden treffen ich Olivia, eine 70 Jahre alte Frau. Wir stehen gemeinsam vor lauter leeren Regalen. Plötzlich spricht sie mich an, obwohl wir uns überhaupt nicht kennen: „Schau dir das an“, meint sie, „so weit ist es gekommen! Keine Milch, kein Fleisch, kein Fisch!“ Sie erzählt mir, dass ihr Mann vor 50 Jahren auf Fidel Castros Seite gekämpft hat. Und das sie mit der Revolution große Hoffnungen verbanden: „Die haben alles falsch gemacht.“ Sie besteht darauf, dass wir sie mit mir zusammen vor dem Laden fotografieren. Und meint dazu: „Die meisten schweigen, weil sie Angst vor Fidel haben. Aber ich nicht. Ich habe keine Angst.“ Mit 70 muss sie vielleicht auch keine mehr haben. Ähnlich wie die Rentnerinnen aus Plauen im Vogtland, die im Herbst 1989 Fotos und Informationen über die Montagsdemos über die nahe Westgrenze brachten.

Nur einmal im Monat wird in den Libreta-Läden Fisch ausgeteilt. Obst und Gemüse gibt es überhaupt nicht „auf Libreta“. Sondern nur auf den „Agromercados“, den Bauernmärkten. Nach der Revolution wurden sie verboten, und wenn ein Bauer dabei erwischt wurde, dass er „privat“ verkaufte, dann landete er im Gefängnis. Anfang der  90er-Jahre, als das Land nach dem Zusammenbruch des großen Bruderlandes, der Sowjetunion, vor einer Hungerkatastrophe stand, ließ Castro die Bauernmärkte wieder zu. Die Preise hören sich für unsere Ohren billig an. Für kubanische Verhältnisse sind sie gesalzen. Ein Kilo Schweinefleisch kostet umgerechnet 1,40 Euro. Der Arbeitslohn von fast drei Tagen. Zwiebeln 50 Eurocent pro Kilo, einen Tageslohn.

Im Februar 2008 trat Fidel Castro zurück. Wie lange er noch zu leben hat, wie es um seine Krebserkrankung steht, weiß niemand. Seitdem regiert offiziell Bruder Raul (77), der Militärchef. Und eine Clique von einigen jüngeren Funktionären rund um Politbüromitglied Carlos Lage Dávila (56) und Außenminister Felipe Perez Roque. Wir einer von ihnen nach Castros Tod der Gorbatschow von Kuba? Aufmerksam beobachtet die westliche Welt seitdem jede kleine Veränderung. Einige schwerkranke inhaftierte Oppositionelle kamen frei. Der Besitz von Handys und Computern wurde erlaubt. Es gibt sogar Gerüchte, dass das marode Libreta-System komplett abgeschafft werden und künftig nur noch die Devisenwährung gelten soll. Das käme dem Ende des sogenannten »Sozialismus« gleich. Klar ist aber auch, dass die kommunistischen Spitzenfunktionäre an der Macht bleiben wollen – ähnlich wie in China. Wahrscheinlich wird es keine „Revolution mit Kerzen und Gebeten“ geben. Sondern eher einen Wandel nach ungarischem Muster, wo Partei-Funktionäre wie Guyla Horn einen sozialdemokratisch geprägten Neuanfang wagten und einen Anschluss an den Westen und einen Machtkompromiss mit der bürgerlichen Opposition suchten.

Solange Fidel Castro noch lebt, geht die Zensur und die Verfolgung Andersdenkender aber ungehindert weiter. Anfang 2009 begeht Kuba den 50. Jahrestag von Castros Revolution. Zu feiern gibt es eigentlich nichts.

Volker Michalowski: Im Knast Bautzen verging selbst mir das Lachen

Sogar als Stasi-Mann holt Spaßmacher Volker »Zack« Michalowski noch Lacher. In Wirklichkeit war er zur DDR-Zeit auf der anderen Seite, bei der Opposition. Mein Beitrag aus SUPERillu, 2006.


Volker Michalowski als Stasi-Schreibmaschinen-Experte in "Das Leben der Anderen" 2006
Volker Michalowski als Stasi-Schreibmaschinen-Experte in “Das Leben der Anderen” 2006

Eine witzige Szene im Film »Das Leben der Anderen«. Die Stasi hat das Originalmanuskript eines regimefeindlichen Artikels, der im »Spiegel« erschienen ist,in die Hände bekommen. Und versucht jetzt, den Autor zu enttarnen, um ihn zu verhaften. Ein quirliger, kleiner Schriftexperte der Stasi,gespielt von Volker Michalowski, hat das Manuskript untersucht.Und berichtet jetzt seinen Chefs,was er herausgefunden hat. Eigentlich ist der Hintergrund bierernst. Genauso akribisch ist die DDR-Staatssicherheit Andersdenkenden hinterhergejagt. Doch Michalowski spielt den Schriftexperten so witzig,dass der Kinosaal vor Lachen bebt.In der Tat hatte der absurde Jagdtrieb der Staatssicherheit ja auch etwas sehr Lächerliches.

Volker Michalowski: Im Knast Bautzen verging selbst mir das Lachen weiterlesen

Volkmar Kleinert: Ich wollte nicht spitzeln. Und fürchtete die Rache der Stasi

In “Das Leben der Anderen” spielt er einen DDR-Regisseur, der sich aus Verzweiflung über sein von der SED verhängtes Berufsverbot das Leben nimmt. Auch im wirklichen Leben hatte er Probleme mit der Stasi.

Volkmar Kleinert (rechts) mit Sebastian Koch in "Das Leben der Anderen" 2006
Volkmar Kleinert (rechts) mit Sebastian Koch in “Das Leben der Anderen” 2006

Volkmar Kleinert hat in dem Kino-Hit »Das Leben der Anderen« eine tragische Rolle. Er spielt den Regisseur Albert Jerska,der völlig gebrochen ist,weil das SED-Regime ein Berufsverbot gegen ihn verhängt hat.Und der sich deshalb schließlich selbst umbringt. In SUPERillu erzählt Kleinert, damals Schauspieler am Deutschen Theater in Ost-Berlin und bei der DEFA, was er selbst mit SED und Stasi erlebte:

„Ich war als junger Mann in den 50er-Jahren voller Sympathie für die sozialistischen Ideale. Ich bewunderte die Antifaschisten, die das KZ überlebt hatten. Und die vielen Intellektuellen wie Anna Seghers oder Jürgen Kuczynski, die am Aufbau einer großen Sache mitwirken wollten. Doch die kühne Idee vom Sozialismus pervertierte mit den Jahren immer mehr. Die DDR war am Ende so desolat, dass sie nur noch durch den Staatssicherheitsapparat zusammengehalten werden konnte. Mit Überwachung, Spitzeln, Willkür.

  Volkmar Kleinert: Ich wollte nicht spitzeln. Und fürchtete die Rache der Stasi weiterlesen

Hans Uwe Bauer: Mein falscher Traum vom guten Sozialismus

Im Film spielt er einen Künstler, der aufbegehrt. Im richtigen (Ost-)Leben schaffte Hans Uwe Bauer  in der DDR den Weg vom Findelkind zum erfolgreichen Schauspieler. Trotzdem empfindet  er keine Ostalgie. Mein Beitrag aus SUPERillu 2006.


Hans Uwe Bauer (rechts) mit Sebastian Koch in "Das Leben der Anderen" 2006
Hans Uwe Bauer (rechts) mit Sebastian Koch in “Das Leben der Anderen” 2006

Hans Uwe Bauer (geboren 1955) spielt im Film den Künstler Paul Hauser, der seinen Schriftsteller- Freund Georg Dreyman (gespielt von Sebastian Koch) überredet, etwas gegen den SED-Staat zu unternehmen.Hauser fürchtet zurecht, dass sie bereits von der Staatssicherheit überwacht werden. Eine Handlung, die nicht sehr weit weg ist von dem,was Hans Uwe Bauer als DDR-Bürger selbst erlebte. In SUPERillu erzählt er erstmals seine bewegte Geschichte. Sie beginnt in Stralsund,wo Bauer 1955 geboren wurde. Seine Mutter floh wenig später in den Westen, ließ ihn zurück.Als Findelkind erlebte er die DDR aus einer ganz besonderen Perspektive.

Hans Uwe Bauer: Mein falscher Traum vom guten Sozialismus weiterlesen