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Andrzej Stach

Russland, Ukraine und die verkannte Macht des Bundespräsidenten

 

Die Entscheidung des Bundespräsidenten, Joachim Gauck, nicht zu den Winterspielen nach Sotschi hinzufahren, gehört wie ich glaube zu den bislang gewichtigsten politischen Entscheidungen seiner Amtszeit. Als Grund vermuten sowohl Befürworter als auch Kritiker der Entscheidung unisono den autokratisch regierenden Präsidenten Putin dahinter. Dabei bleibt der Bundespräsident nur seinem Kurs treu, für Menschenrechte und Freiheit einzutreten. 

 

Für Gaucks Kritiker spielen die menschenunwürdigen Umstände bei der baulichen Vorbereitung der Winterspiele in Sotschi keine Rolle. Abgefunden haben sie sich auch mit den unzähligen politischen Gefangenen in Russland. Seine politischen Expansionsgelüste als Mittel zur Wiedererrichtung eines neuen Imperiums deuten sie als legitime Wahrung russischer Interessen. Im Vordergrund stehen für sie die wirtschaftlichen Fragen. Dabei ist es ihnen egal, wie Russland selbst die wirtschaftlichen Interessen und die politische Souveränität der Ukraine und anderer Länder bedroht. Deshalb müssten jetzt alle EU-Mitglieder mit einer Stimme sprechen, und zwar sowohl über und mit Russland als auch mit der Ukraine.      

 

Die Ereignisse in Kiew gehören in denselben Kontext. Sie zeigen dabei, wie wenig wir hier in West- und Mitteleuropa von dem nächsten Nachbarn in Europas Osten wissen oder wissen wollen. Bezeichnenderweise schwenken die Demonstranten bei Protesten in Kiev z.B. massenhaft die EU-Fahnen neben ihren Nationalfahnen und Nationalsymbolen. Aber es fehlt etwas bei den Massenprotesten, was man eigentlich hätte zahlreich erwarten können. Ja, und zwar die Fotos der von der EU-Politik einseitig zum ukrainischen Symbol erhobenen Julia Timoschenko, die von den Demonstranten vergessen zu sein scheint.

 

Mit dem Fehlen des schönen Konterfeis nehmen die Demonstranten der EU-Politik ihr schönes Feigenblatt weg und stellen die Scheinheiligkeit ihrer bisherigen Politik bloß. Denn es geht den Menschen auf dem Maidan nicht um die prominente Gefangene. Sie fordern vor allem die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten, Bestrafung der Schuldigen für die brutalen Polizeiübergriffe und den Rücktritt der Regierung von Janukowicz. Und obendrein zeigen sie ihren Willen, nach den Werten und Prinzipien der EU zu leben, und zwar ohne politische und wirtschaftliche Bevormundung seitens anderer Länder.

 

In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des Bundespräsidenten ein zusätzliches wichtiges Zeichen. Joachim Gauck beweist damit, dass man das ohne wirkliche politische Macht ausgestattete Amt des Bundespräsidenten zur Verteidigung und Unterstützung der Freiheits- und Bürgerrechte verwenden kann, und zwar auch in der unmittelbaren Nachbarschaft in Europa. Ihn jetzt als „anti-russisch“ abstempeln zu wollen ist absurd. Es würde auch niemand Bundeskanzlerin Merkel „anti-ukrainisch“ nennen, weil sie den pro-europäischen Demonstranten-Anführer in Kiew, Vladimir Klitschko, unterstützt und nicht den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch