Archiv der Kategorie: Gerald Praschl

Bärbel Bohley (1945-2011): Heute wäre sie 70 geworden

Bärbel Bohley, portraitiert von Nikola Kuzmanic, 2004
Bärbel Bohley, portraitiert von Nikola Kuzmanic, 2004

„Der Zweite Weltkrieg war gerade zwei Wochen beendet, als ich im Mai 1945 in den Ruinen Berlins geboren wurde. Wir Kinder, mein Bruder Ulrich wurde drei Jahre später geboren, wuchsen in dem riesigen Trümmerfeld auf. Am berühmten Spreebogen, fast neben dem heutigen Bundestag und dem Bundeskanzleramt waren meine Spielplätze.“ So fing die kleine Lebensgeschichte an, die Bärbel Bohley in dem Buch „Mut-Frauen in der DDR“ über sich aufschrieb, das Rüdiger Rosenthal und ich im Jahr 2006 gemeinsam publizierten.

Heute, am 24. Mai 2015, wäre Bärbel Bohley 70 Jahre alt geworden. Im September 2011 starb sie, viel zu früh, an Krebs. Ihrem bewegten Lebenslauf ging daher leider ein letztes Kapitel verloren. Im vorletzten waren wir Freunde, als sie, seit 1996, in Bosnien-Herzegowina half. Zunächst betreute sie im staatlichen Auftrag einige Hilfsprogramme, um kriegszerstörte Häuser wieder aufzubauen. Dann organisierte sie mit dem von ihr gegründeten Verein Seestern e.V. selbst Hilfsprogramme, sammelte Spenden und Hilfsgelder, unter anderem vom Auswärtigen Amt.  Tausende durch den Krieg obdachlos gewordene Flüchtlingsfamilien, die heute unter anderem in mehreren neu aus dem Boden gestampften Dörfern rund um Mostar leben, verdanken dieser Hilfe beim Bau ihrer Häuser und der  komplizierten Wasserversorgung auf den „Wastelands“, die ihnen die Regierung dazu zugewiesen hatte, viel. Knallhart, aber auch mit viel Herz, waren ihre Verhandlungen mit örtlichen Bauunternehmern, denen sie erfolgreich begreiflich machte, dass mit Bärbel Bohley und ihrem Mann und Partner, dem bosnischen Lehrer Dragan Lukic, keine krummen Geschäfte zu machen waren, sondern nur Termineinhaltung, Transparenz, angemessene Preisgestaltung und ordentliche Bauleistung zählten. Das war damals schon ihr viertes Leben.

Bärbel Bohley (1945-2011): Heute wäre sie 70 geworden weiterlesen

Was Valentin Falin zur Russland-Krise sagt

Interview mit Valentin Falin, erschienen in SUPERillu Heft 12/2015:

Von seinem Küchenfenster in der Moskauer Bolschaja-Jakimanka-Straße aus kann Valentin Falin die Türme des Kreml sehen. Falins Frau Nina, 59, serviert den SUPERillu-Redakteuren Gerald Praschl und Marc Kayser Kaffee. Die Drei-Zimmer-Wohnung der Falins gleicht einem Museum. Das Ehepaar lebt dort inmitten seiner Gemäldesammlung, umgeben von Stilmöbeln und Falins großer Bibliothek.

Moskau, Anfang März 2015. Das Tagesgespräch der meisten Menschen ist „die Krise“. Und der Verfall des Rubels, der binnen eines Jahres fast die Hälfte seines Wertes verloren hat. Für viele Russen heißt das: eisern sparen. Importwaren wurden bis zu hundert Prozent teurer, sind für viele Durchschnittsverdiener nun wieder unerschwinglich.   Und auch die Besserverdienenden, von denen es in in der Zehn-Millionen-Stadt- Moskau viele Hunderttausend gibt, müssen überlegen, ob sie sich den Sommerurlaub „im Westen“, in der Türkei, auf Zypern oder in Ägypten, noch leisten können. Der Krieg in der Ost-Ukraine mag ein fernes Kanonen-grollen sein, dass die meisten Russen nur übers Fernsehen erreicht. In ihrem Geldbeutel ist er aber bereits angekommen. Die Zeitungen sind am Morgen des Interviews voll mit einem Thema: dem Mord an dem Oppositionellen Boris Nemzow, der nicht weit von der Wohnung der Falins erschossen wurde.

Was Valentin Falin zur Russland-Krise sagt weiterlesen

Impressum

geraldpraschl.de wird betrieben von:

Gerald Praschl

c/o SUPERillu

Potsdamer Straße 7
10785 Berlin
Email: gerald.praschl(at)me.com

Sotschi: „Feiern statt meckern“

 Was wurde im Vorfeld nicht alles über Sotschi geschrieben. Von kaputten Duschen,Vierer- Toiletten und unfertigen Hotels war die Rede. Doch nach der glanzvollen und herrlich unaufgeregten Eröffnungsfeier sind Sportler wie Beobachter voll des Lobes. Ein feierfreudiges Publikum, moderne Sportstätten und der Kontrast zwischen den Palmen in Sotschi und dem Schnee in den Bergen gilt inzwischen als der große Reiz der Spiele im Kaukasus. Das Gemecker einiger Journalisten und Besucher mutete daher an wie das Genörgel von Pauschaltouristen.

Nicht nur Alt-Kanzler Gerhard Schröder regte das auf. Solche Berichte seien „reichlich unfair“, meinte er. Sicher ist Schröder, aufgrund seiner Aufsichtsratstätigkeit für das deutsch-russische Konsortium Nordstream, vielleicht etwas parteiisch. Aber auch der deutsche „Spiegel“-Korrespondent Benjamin Bidder kritisierte die „einfältige Häme“ in zahlreichen westlichen Berichten. Bidder schreibt: „Die Russen verstehen die Welt nicht mehr, und das liegt nicht an den Russen. Sie feiern in Sotschi eine Party. Wir sind die Gäste, die sich den ganzen Abend an einer Bionade festhalten und sich über das Klo des Gastgebers das Maul zerreißen.“ Während viele Journalisten meckerten, fühlen sich die Sportler in Sotschi offenbar sehr wohl. Sie schwärmen von dem subtropischen Klima – derzeit sind es elf Grad plus in Sotschi – und dem perfekten Schnee im 50 Kilometer entfernten Krasnaja Poljana.

Selbst der Berliner Deutsch-Russe Wladimir Kaminer, sonst nicht als Kreml-Freund bekannt, nahm „Putins Olympia“ in Schutz: „Ich denke, die Gastgeber haben alles getan, um der Welt ihre Gastfreundschaft zu präsentieren“, sagte er. Es bringe auch nichts, so Kaminer, jetzt über das viele Geld zu jammern, das die Spiele kosten und darüber, dass von den 40 Milliarden Euro wohl einiges in Korruption versickerte. Jetzt solle man feiern und Spaß haben.

Das sieht auch eine breite Mehrheit der Russen so. Zwar sind laut Umfrage des Moskauer Meinungsforschungsinstituts Levada 38 Prozent aller Russen der Meinung, ihre Obrigkeit habe die Spiele nur veranstaltet, um sich große Summen aus der Staatskasse anzueignen.Aber: Trotzdem sind 53 Prozent der Meinung, es sei „definitiv“ oder „eher“ richtig gewesen, die Spiele nach Sotschi zu holen. http://www.levada.ru/05-02-2014/zimnie-olimpiiskie-igry-v-sochi-interes-nadezhdy-i-otsenka ). Und 65 Prozent freuen sich auf russische Siege.

Gerald Praschl, erschienen in SUPERillu 8/2014